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Ich sage: „Ich will es sehr gern thun!" denn ich werde, wenn es dir beliebig ist, diese Ehre mir ausbitten. Ich denke auch, daß unser ehrwürdige alte Freund es nicht übel nimmt, ́da ́er heute nicht sehr früh sich hier einfinden wird; er ist mit Theogenes, der wie ihr wißt, der liebste seiner Schüler, sein Pflegefohn und eines solchen Vaters würdig ist. Er kam diesen Morgen zu ihm, und da hörten sie nicht auf, sich mit einander zu unterhalten, als ob sie sich zehn Jahre lang nicht gesehen hätten. Zuerst wandelten sie mit einander nach ihrem Hügel, wo ich gerade auch war und gar kein Bedenken fand, ihnen zuzuhören. Sie redeten von nichts, als von solchen Dingen, von denen sie wünschen, daß alle Kreaturen es wissen und in vereinten Chören es wiederholen möchten. Der ehrwürdige Greis stimmte zuerst der Gottheit seine Hymne an: „er lud alle Intelligenzen und Alle, die auf dem ganzen Universum ihre Kniee beugen können, ein, mit ihm den Gott und Schöpfer zu besingen und die Ehre Dessen auszukünden, dem allein Existenz und Macht zukommt, dessen Wesen aber auch Güte ist, die ihn unaufhörlich geneigt macht, fich mitzutheilen und in seiner Weisheit immer neue Ketten von Wesen, die ihm untergeordnet und auf einer unendlichen Leiter Theilhaber seines Lebens und seiner Glückseligkeit sind, zu bilden."

„Er durchging nachher diese unendliche Leiter und alle Welten, und fing bei diesem Sandkorn an, das wir Erde nennen und dem wir, o der thörichten Schwachheit! anhängen, als ob es das Ziel unserer Hoffnungen wäre, während in demselben Moment, da wir davon sprechen, dieser Atom uns entschlüpft. Alle Welten entschwanden ihm nachher, eine nach der andern, so wie man einen leichten Nebel entschwinden und fliehen sieht, sobald sein Ueberwinder, die Sonne, fich zeigt. Der Schöpfer blieb allein übrig, mitten in einem, so zu sagen, durchsichtigen und unmateriellen Universum. Er blieb, von tausend und abermal tausend Millionen Intelligenzen umgeben, deren

jezige und ewige Beschäftigung es ist, zu sagen und immerwährend auszurufen: ! Ehre sei dem, der da ist, der da war und ewig sein wird. Alles ist durch ihn und in ihm. Durch seine Güte sind wir. Sie bildet und erleuchtet uns immerfort. Sie hat uns die Fähigkeit gegeben, nach ihm hinzusehen, ihn zu kennen und zu lieben. So laßt uns denn ihn erkennen und lieben! Dieses soll unsere einzigste und glücklichste Beschäftigung sein durch aller Aeonen Zeiten hindurch." ↑

Von unsern wesentlichen und nothwendigen Verhältnissen mit dem Schöpfer machte er hernach den Schluß auf diejenigen, in denen die Intelligenzen unter sich mit einander stehen, und auf alle Pflichten des Erdbewohners, gerade so wie er von den Verhältnissen und der Aktion der materiellen Welt den Schluß auf alle Scheinwesen der Natur gemacht hatte. O! hättest du diese herrliche Hymne mit anhören können, Leontius! hättest du können mitfühlen, wie die himmlische Harmonie und die sanfteste Ueberredung von seinen Lippen floß, und hättest du die Heiterkeit dieser Seele sehen können, die ich dir unmöglich zu schildern vermag! Alle Farben der Wahrheit zeigten sich in den Zügen und Accenten dieses Mannes, der in diesem Moment kein Erdensohn zu sein schien.

Theogenes, entzückt und staunend, konnte nicht genug die himmlische Fassung dessen betrachten, den er seinen Vater nannte; oder wenn die Scene des werdenden Morgenroths, wenn der reinste Himmel ihn auf einen Augenblick davon abzogen, so war es nur, um sich nach den Himmeln selbst hinaufzuschwingen und dort, nach dem

1 Ob ich gleich auch dieses sehr gern als eine Probe von dem Chriftenglauben unsers guten Alten ansehe, so muß ich doch gestehen, daß man unter den echten Fragmenten der alten Pythagoräer eben so schöne und eben so starke Stellen findet, welche den Gebeten und Herzenserhebungen der besten Christen füglich an die Seite gestellt werden können.

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Beispiel seines Lehrers, den unsterblichen Urheber aufzusuchen, der, uns so nahe und so fern von uns, sobald wir seiner einmal ansichtig geworden find, Alles durch seine unendliche Majestät bedeckt und den Mechanismus der Himmel und der Erde und des ganzen Universums verschwinden macht. Nein, weder Amphion, noch Orpheus haben jemals solche Töne angestimmt. Nein, Leontius! du hättest dann keine andern Beweise mehr für eine Lehre nöthig gebabt, deren lebende Kraft solche Gedanken einhaucht; du wärest von deiner Empfindung hingeriffen und überzeugt, du wärest sein Schüler geworden, ohne dich mit langen Raisonnements noch abzugeben.

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Aber laß uns einmal sehen, welches die neuen Waffen seien, mit denen du diese himmlische Lehre bekämpfen willst? Welches find die Schwierigkeiten, die du uns entgegenseßen zu können behauptest und welche, wie du sagst, aus den Lehren der Alten und aus der Geschichte des Menschengeschlechts hergenommen find? Laß sehen, ob He gegen den erhabenen Schwung der Vernunft unsers harmonischen Sängers und gegen die Argumente unsers unvergleichlichen Philosophen bestehen können?

Obgleich Leontius wenig im Stande war, seine Bewegungen zu verbergen, (und diese Erzählung hatte ihn sehr gerührt,) so sammelte er sich doch einen Augenblick und fing dann ungefähr so an:

Ich heiße eine uns angeborne Denk- und Empfindensart diejenige, die wir uns nicht selbst gegeben und welche wir nicht durch eine besondere Anstrengung unserer Vernunft und durch mühevolles Studium und Nachdenken in uns erzeugt haben. Von der Art wäre die Lehre von den wesentlich ausgedehnten und soliden Körpern, das heißt, von denjenigen, die ausgedehnt und solid find, ehe und bevor irgend eine Sensation von unserer Seite Statt hatte. Frage einmal einen Jüngling, ob die Solidität eines Goldstücks, das du ihm weisest, oder eines schönen etruskischen Ges fäßes, oder einer korinthischen Statue von Erz das Werk seiner Sinne

sei, und ob, im Fall, daß weder er, noch ein Anderer mit Sinnen versehen wäre, dieses Gold, dieses Erz nicht ausgedehnt und solid sein würde? Thue dieselbe Frage an unsere Landleute und Handwerker; trage nur Sorge, ihnen die Frage mit Bestimmtheit darzus legen, denn man antwortet gewöhnlich nur deßwegen schlecht, weil man noch schlechter gefragt wird. Wenn Alle dir nicht einmüthig auf eine ohne Zweifel weniger philosophische, aber vielleicht eben so verständliche Art antworten, als mein Lehrer Heraklit; wenn nicht Alle dir sagen, daß die Steine, aus denen dieser Saal erbaut ist, der schöne parische Marmor, den man an diesen Säulen bewundert, die dodonischen Eichen, aus denen diese Balken verfertigt find, oder die Buchen aus dem alten Garten des Academus; wenn sie nicht sagen, daß dieses Alles ganz etwas Anderes sei, als nur eine Wirkung unserer Sensationen, oder als ein Scheinwesen, welches etwas Verschiedenes sein kann für die verschiedenen Bewohner, ich will nicht sagen, des Universums, sondern nur des attischen Gebietes; daß end= lich unabhängig von Allem, was man Verhältniß nennt, die Körper immer Körper bleiben, das heißt Etwas, das mehr oder weniger hart ausgedehnt und solid ist; wenn nicht Jedermann dir diese Antwort gibt, wenn man dich nicht als einen Phantasten und Schwärmer behandelt, und wenn nicht die Landleute von Attika, indem fie die Solidität ihres Erdklumpens behaupten, gleich bereit find, dir Steine an die Stirn zu werfen, oder viel lieber fich in Stücke hauen zu lassen, als von ihrem Glauben abzustehen, so gebe ich dir, mein lieber Archytas! gewonnen Spiel. Und dieses heiße ich das System der Wahrheit, eine Empfindung, die wir mit auf die Welt gebracht haben, die Lehre des Universums und der Natur.

Und nun ist es, denke ich, nicht mehr nothwendig, dir zu be weisen, daß auf dieselbe Art, wie unsere Landleute und alle diejeni gen, denen ohne alle gelehrte Kenntnisse und Geistesausbildung der Lavater's Schriften. IV.

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gemeine Menschenverstand zu Theil ward, darüber denken, auch ihre Vorfahren, die vor der Erfindung des Pfluges und der Pflugschar, und ehe Cadmus noch die Kunst zu schreiben gelehrt und den Völkern zuerst das Alphabet gewiesen hat, das heißt, von Anfang der Welt an die Erde mühsam bauten, ebenso gedacht haben. Der unkultivirte Scythe, der rohe Parther, der so gebildete Athenienser und der stolze Römer, alle diese haben bis auf den heutigen Tag nur Eine Meinung hierin und haben sie von jeher gehabt. Wenn solche Denkmäler, durch welche uns die Denkart und Kenntnisse des ersten Menschenalters in jedem einzelnen kleinen Zuge bekannt gemacht werden, uns fehlen, so mögen wir nur ganz dreift in Betreff dieser ersten Wahrheiten nach uns selbst urtheilen; wir können uns vorstellen, was die Andern haben denken müssen, besonders in den Zeiten, wo die Taschenspielereien, welche man unsere Philosophen in ihren Schulen, ich hätte bald gesagt, auf ihren Gaukler-Gerüsten, machen sieht, noch nicht die gemeine Denkart verändert und den Naturmenschen bet seinen Urtheilen irre geführt haben. Untersuche die Sprachen aller Völker, wäge ihre Ausdrücke wohl ab, und Alles wird dir nur immer dasselbe beweisen: zu welchen Zeiten, in welchem Lande, in welcher Sprache der Welt kommt nicht der Beiname, der unserm Beiwort hart entspricht, dem Diamant zu? wo hat man nicht Wachs weich und Wasser flüssig genannt? und kann man wohl glauben, daß. indem man dieselben Worte aussprach, man nicht auch dieselben Begriffe damit verbunden habe? Hat man jemals sich einfallen lassen, zu sagen: ich habe eine solide Sensation von vier Fuß gehabt, wenn man ein Stück Marmor von vier Kubikfuß angerührt hatte? und der Kaufmann, der uns diesen Marmor verkauft, verkauft er uns wohl unsere Sensationen? Dein ehrwürdiger Greis, den ficher Niemand mehr ehrt, als ich, kann nicht anders, als dieses zugeben; aus Allem leuchtet so viel Seltsamkeit hervor, daß man fich nie, nein nie, daran gewöhnen kann. Predige nur deine Lehre

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