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Theogenes, du seufzest, und gewiß bin ich die Ursache davon. Du willst also nicht glauben, daß ich nicht so ganz zu beklagen bin? Sage mir, welche Aussicht ist angenehmer, diejenige, welche die Bez wohner jener Ebene in der Stadt, in der du dich aufhältst, genießen, oder die, welche uns auf dem über alles Uebrige emporragenden Hügel, auf dem wir stehen, vergönnt ist? In der Stadt siehst du Säulen, Hallen, Tempel, ein Colisäum; aber du kannst nur Einen von diesen Gegenständen auf einmal sehen. Eines bedeckt das Andere; hier aber bietet sich deinem Auge das schönste Ganze dar, ein prachtvolles Amphitheater; du entdeckst die ganze Schönheit der Stadt und die Regelmäßigkeit des Planes, nach dem sie gebaut ist. Betrachte dieses, Theogenes! vergleiche und entscheide.

So ist es auch mit mir. Dich sehe ich zwar nicht mehr, o Sonne! nicht deine glänzende Kugel, nicht das Gold und den Purpur, mit dem du am Ende eines schönen Tages die Himmel bekleidest, nicht das rührende Schauspiel deines Aufgangs, das ich einst so gern betrachtete und dem ich mit den Vögeln des Himmels und mit der ganzen entzückten Natur meinen Preis und meine Lieder anstimmte. Erde! es find zwar alle deine hervorschimmernden Herrlichkeiten für mich verloren; der bekleidete Frühling hat für mich weder Mannigfaltigkeit, noch Blüthen; ein dichter Flor ist vor meinen Augen über die ganze Natur gezogen; aber wenn ich sie schon nicht mehr vermittelst des matten Schimmers meiner Sinne sehe, welche ohnehin das Alter mindert und der Tod bald gänzlich verlöschen soll, so wird -mir dieselbe doch durch ein viel sichereres Licht enthüllt, und ich durchschaue nun ihre Tiefen, ohne daß mich irgend etwas aufhalten mag. Ich bin nur des Anblicks einiger glänzenden Scheinwesen beraubt und bin zu gleicher Zeit von einer Menge Irrthümer befreit, die mich diese Scheinwesen für Wirklichkeiten halten und öfters Ursache und Wirkung verwechseln ließen. Die Scene des ganzen Universums deckt sich vor meinem Auge auf; der Vorhang ist fast

aufgezogen, und bis er gänzlich gehoben ist, bis eine neue Seinsart vollends alle die Verhältnisse aufhebt, in denen ich nun mit der Natur stehe und mich in neue, viel dauerhaftere Verhältnisse verseßt, so durchlaufe ich, mein lieber Theogenes! mit eben so viel Vergnügen, als du, die Werke der Schöpfung; ich bestrebe mich, die Schatten vom Licht zu sondern und Alles zu entfernen, was nur mit meinen Sinnen im Verhältnisse steht. Ich dringe tiefer und finde nicht eine ausgedehnte und immer theilbare Materie (ein Labyrinth von Absurditäten und Widersprüchen), finde nichts von den noch unbegreiflichern Atomen, nichts von leerem Raume, nichts von Monaden; aber von der einen Seite sehe ich ein Principium von Kraft, eine erschaffene Aktion, die immer besteht und immer ins Unendliche sich verändert; von der andern Seite stellt sich mir Empfindung und der Gedanke dar. So ist das Universum gleichsam durchsichtig und unmateriell für mich geworden, das Maschinenwerk ist verschwunden, ich sehe den ewigen Werkmeister Alles wirken, zwar auf eine unbegreifliche Art, (denn wer kann das Geheimniß der Gottheit ergründen?) aber zu gleicher Zeit auch auf eine große und wahrhaft einfache Weise.

Was ich dir hier sage, lieber Freund! muß dich nicht befremden. Berede dich nur, daß ich dem Universum nichts von seiner Realität nehme. Wenn unser Geist Ungeheuer geschaffen hat, wenn er Chimären um sich her gehäuft, ist es nicht vernünftig, sie zu bekämpfen? Wir spotten derjenigen, welche die Tugenden und Lafter personificirt und Zerstörung und Tod individualifirt und eine Gottheit des Fiebers sich gebildet haben; machten nicht von Thales an bis auf unsere Zeiten alle Weltweisen es noch viel ärger? Mit allem ihrem Verstande haben sie die Welt nur mit Vernunfts wesen angefüllt; die Bilder in ihrer Seele haben allerwärts die Stelle der Wirklichkeiten eingenommen. Der Eine hat Alles mit seiner soliden Ausdehnbarkeit und seiner immer theilbaren und uns Lavater's Schriften. IV.

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durchdringbaren Materie verdorben, der Andere mit seinem leeren Raum, einer Dritter mit seinen einfachen Wesen oder körperlichen Monaden. Der Erste hat nicht bemerkt, daß Ausdehnung, Maß, Theilbarkeit nichts anders seien, als Wahrnehmungen, Anfichten, Verhältnisse und Schlüsse seiner Seele, Ideen und nicht Sachen; der Andere, daß Entfernung und Raum wieder nichts anders seien, als eine Ansicht, eine Eintheilung, eine Vergleichung. die wir anstellen, und daß also der leere Raum, dessen Begriff nur auf diejenigen gegründet ist, die ich so eben nannte, auf Entfernung und Raum, mit ihnen sich aufhebt und nichts ist, als ein leeres Wort, das selbst keinen Sinn hat. Einer unserer ersten metaphysi= schen Philosophen hat endlich geglaubt, daß das, was in seinem Kopfe unterschieden war, auch etwas_Verschiedenes in der Natur sein müßte, daher diese Monaden, oder einfachen Substanzen, womit er die Körper zusammengesezt und die er, um mich glimpflich auszudrücken, ohne zureichenden Grund sich erschaffen hat. Mit einem Wort, mein lieber Theogenes! fast alle unsere Weltweisen haben sich zu sehr um ihre eigenen Ideen herumgedreht; fe haben geglaubt, den Gang der Natur entwickelt zu haben, wenn sie höchstens die Art ihrer Ansicht derselben bestimmt hatten; Alle waren, ohne es zu wissen, von der Nominalfekte.

Wir wollen es versuchen, uns zwischen ihren zahlreichen Raisonnements hindurch Licht zu machen; wir wollen die Augen unsers Körpers schließen, um diejenigen unserer Seele desto besser öffnen zu können.

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Es gibt keine andere wahre, große und vollkommene Einheit, als Gott. Alle Wesen, nach seinem Bilde geschaffen, find auch Einheiten, aber unvollkommene Einheiten; unvollkommen nämlich, insofern als sie nur in Gott existiren können, von dem ihre Existenz ganz und gar abhängt. Uebrigens ist die große Einheit von allen übrigen möglichen Einheiten unabhängig; jede ist ein kleines, besonderes Ganze, das einzig und allein mit Gott existi

ren kann. Dasselbe Verhältniß hat nicht Statt bei allem dem, was nicht nach dem Bilde Gottes geschaffen, bei Allem, was körperlich ist, und es gibt keine wahren Monaden, als 'die Geister. Andere annehmen heißt, wie ich gesagt habe, eben so viel, als wenn man abstrakten Ideen einen Körper und eine Wefenheit beilegt, wenn man pure Vernunftgeschöpfe zu Realitäten umschafft.

Was ist denn nun aber das Universum und alle die so verschiedenen Körper, aus denen es besteht? Eine große, existirende Kraft, die auf verschiedene Art combinirt, verschiedentlich auf verschiedene Monaden oder Geister handelnd und verschiedentlich von ihnen angenommen, allerwärts verschiedene Sensationen hervorbringt, denen man auch verschiedene Namen gegeben hat. Diese Sensationen sind in dem Geiste, der sie empfängt. Aber da die Ursache, diese agirende Kraft, von der wir gesprochen haben, und die sie hervorbringt, von außen her wirkt, so ist die Seele oder der Geist geneigt, eben so viele verschiedene Ursachen oder Gegenstände außer sich anzunehmen, als Verschiedenheiten in seinen Sensationen sich befinden. Siehe da das Universum und die große Verschiedenheit der Dinge, aus denen es zusammengesezt ist! Ich werde also mit dem Volke dieselbe Sprache führen und sagen: eine Stadt, ein Tisch, eine Sonne, ein Mond, wie ich auch in jedem Augenblicke sage, daß dieses Feuer heiß, dieses Wasser kalt und diese Kirsche roth ist. Aber wenn ich als Pilosoph spreche, wenn ich zu den ersten Begriffen, zu metaphysischen Begriffen und zu der Ursache von Allem hinaufsteige, so werde ich mich wohl hüten, zu glauben, daß die Sonne eine Einheit und unsere Erde eine Einheit sei; ich werde auch nicht sagen, daß sie eine unendliche oder unbestimmte Zahl von Einheiten in fich fasse; aber ich werde sagen, ich werde denken, ich werde behaupten, so parador es auch scheinen mag, daß die Sonne nicht eine verschiedene Einheit von diesem Buche ist, welches du in der Hand hältst, oder von diesem Rasen, auf dem ich ausruhe. Eine

große Aktion, die allerwärts verbreitet ist und die, so zu sagen, die Zwischenräume zwischen dem Himmel und der Erde ausfüllt, ohnè ihre Einheit zu verlieren, macht den Grund und die Materie von allen Wesen des Universüms aus. Ihre Eintheilung, ihre Anzahl, der Raum, den fie einnehmen, und ihre Entfernung unter sich find nur eine Anordnung, eine Einrichtung, eine Operation meines Geis stes. Eben so der leere Raum und die Ausdehnung. Die ganze Verschiedenheit der Dinge im Universum, die in die Sinne fallen, ist nichts als eine große Verschiedenheit der Scheinwesen. Die Sonne ist ein Scheinwesen, eben so wie der Regenbogen, den fie bildet; die Erde selbst ist es, ihre Bäume, ihre Berge, mit einem Wort Alles, was fie in sich faßt. Der Grund und die Natur der einen ist der Grund und die Natur der andern, eine Kraft, eine combinirte Aktion und nichts mehr.

Ich habe schon bemerkt, mein lieber Theogenes! daß, indem ich so spreche, ich dem Universum nichts von seiner Realität nehme. Wirklich schlage ich auch nicht den Weg vieler unserer Philosophen eln, die nur Geister annehmen und die Materie ganz aus der Welt schaffen wollen. Nein, die Materie existirt, sie existirt außer meinem Geiste, der fie sucht und findet, der aber, weil er selbst nur in einen Körper von Materie eingehüllt und gleichsam durch ein Prisma hindurch fie erblickt, Außenseiten an ihr wahrnimmt, die sie nicht hat, und fie beständig mit einem ihr ganz fremdem Schmuck ausschmückt. Meine ganze Arbeit besteht darin, ihr diesen Schmuck zu nehmen; um fie in ihrer wahren Gestalt darzustellen, zerreiße ich ihr Kleid.

Das Universum ist keine Jllufion, unsere Empfindungen find keine Gaukeleien, denn die körperlichen Wesen existiren wirklich. Wollte ich daran zweifeln, so dürfte ich ja nur die Hand ausstrecken und einen Stein aufheben, oder den ersten besten Baum umfassen, den ich antreffe, und eine innere Ueberzeugung, die stärker ist, als alle Raisonnements, würde mich sogleich der Evidenz huldigen machen.

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