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spruche desselben allerhöchsten und inappellablen Tribunals, der Vater geheiligt und in die Welt gesendet hat. Wie Paulus durch das Geseß dem Geseße entstarb, so, möchte ich sagen, entstarb ich durch die Vers nunft der Vernunft, die sich allein und ohne einen Mittler, wie Christus ist, helfen zu können wähnt und träumt.

Ich hoffe, Sie sehen aus dieser unzweideutigen Erklärung, die ich, ohne Sie zu nennen, dem Monatblatte wörtlich einrücken werde, wie übel Ihr guter Freund berichtet worden ist.

Ich thue dieser Erklärung noch die Aeußerung hinzu, daß ich gerade diese lezten Tage hindurch in meinem Innern nicht wenig daher leide, daß so manche meiner ehemaligen christlichen Freunde und Mitanbeter Christi, hingerissen vom Geiste des Zeitalters, nicht nur ganz von Christus abgekommen sind und in dem Gedanken stehen, daß sie sich getäuscht haben und nun zum wahren Lichte gekommen seien, sondern, daß diese sogar äußerst intolerant und inhuman mit ihren ehemaligen Glaubensgenossen umgehen und mit stolzverachtens dem Mitleiden auf diese dem Evangelio treu Gebliebenen herabsehen. Ich habe verschiedenen solchen und andern sehr philosophischen Köpfen die kaltblütigste Prüfung meiner Glaubensgründe anerboten, aber umsonst! Die Meisten weichen dieser Prüfung aus. Ich habe nicht die mindeste Ursache, sie auszuweichen. Zeigt man mir etwas Besseres und Solideres, weg mit dem weniger Guten! Wer könnte sich selbst bei anerkanntem Irrthum ertragen?

Ich habe eine Methode, von der ich wohl behaupten darf, daß fie ganz einzig in der Welt ist. Alle meine Glaubensgründe find in die einfachsten Säße aufgelöst, und mein Eingang ist immer derselbe.

„Lieber Wahrheitsfreund! Ich streite nicht, will auch keine Gegengründe, sondern verspreche nur, den Saß sogleich zu zerreißen, dem Spuckkasten zu übergeben und in meinem Leben nie mehr zu behaupten, von welchem du nicht von Herzen sagst: Es ist völlig so klar und so gewiß, wie Einmal eins ist eins. Nochmals, bemühe dich Lavater's Schriften. IV.

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nicht mit der geringsten Widerlegung oder Erweisung des Gegentheils. Es bedarf dessen nicht. Ich anerbiete die gänzliche, innere und äußere Annullirung jedes einzelnen Sazes, von dem irgend ein sterblicher Mensch mit seiner Person oder seinem beigesezten Namen das Wort aussprechen darf: Dieser ist nicht so klar und wahr, als Einmal eins Sist eins."

Tausende haben über diese meine Anerbietung als die höchste Extravaganz der menschlichen Präsumtion laut und leise gelacht; aber diese kalten, ruhigen, philosophischen, humanen, erhabenen Wahrheitsfreunde wagten es nicht, mich beim Worte zu nehmen.

Die Wenigen, die es wagten, unter denen ich nur den seligen Zollikofer nennen will, erstaunten, umarmten mich und wollten auch nicht einen einzigen Saz vernichtet wissen. Dieses ist Thatsache und ein Experiment, das ich alle Augenblicke wiederholen will.

Diese gewiß nicht ohne Nachdenken, Kampf und Schmerz errungene Evidenz meines altevangelischen Glaubenssystems nöthigt meine Vernunft eben so sehr, als mein Herz, zu wünschen und zu arbeiten, daß alle Kniee sich beugen vor dem Namen Jesus Christus, und alle Zungen bekennen, daß er der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters.

Haben Sie die Güte, diese ganz offene Herzensäußerung Ihrem würdigen Freunde bald möglichst mitzutheilen. Möge fie auf ihn wirken, was Sprache der Vernunft, der Wahrheitsliebe und der Ueberzeugung auf einen philosophischen Kopf und ein humanes Herz wirken kann. Den 22. Oktober 1794.

79.

,,Die Kinder der Welt", sagt mein Evangelium, „find flüger, als die Kinder des Lichts."

Ich las neulich in einem Buche, das mir von Ungefähr in die Hände fiel, von einer Weltdame, deren ganzes System darin bestand,

auch nicht das Geringste für sich unbenußt zu lassen. Sie forschte aus jedem Menschen nur das aus, wovon sie sich einigen Vortheil versprechen konnte; fie ließ kein Wort auf die Erde fallen, das einem Versprechen ähnlich sah, ohne es mitten im Fallen aufzufassen und durch schnelle, dankbare Annahme schärfer zu prägen, als es der nachlässige, höfliche Hinwerfer selbst prägen wollte. Kind des Lichtes! an welches ich dieses schreibe, möchtest du von dieser wahrhaft weltlichen Klugheit die himmlische Klugheit lernen, die nichts zu unserer Selbstverbesserung unbenußt hingehen läßt!

Diese himmlische Klugheit, schwesterliche Freundin! verliert den großen Zweck des Lebens nicht aus dem Auge; sie sucht und findet immer Belehrung, Stärkung, Beruhigung, Ermunterung, Warnung, Zurechtweisung; besonders ist sie äußerst haushälterisch mit zeitverderbenden, zwecklosen Worten, und leidet sehr bei nichts gebenden Weitläufigkeiten, wo Alles mit wenigen Worten ins Reine gebracht werden könnte. Am besondersten weiß fie die Gegenwart vorzüglicher Menschen zu ihrer Erbauung und innerer Vervollkommnung wohl zu benußen, und ist himmelweit davon entfernt, mit eigenem Geschwäße, das zu nichts führt, ein Wort des Weisen, das zu vielem Guten führen könnte, zu verdrängen und aufzuhalten.

80.

Kalter Schallseigenfinn eines andächtelnden Weibes kann auch die christlichste Geduld in eine Art von Raserei bringen, worüber dann freilich diese frömmelnde Bosheit, ihr satanisches Gespötte zu treiben, sich zur Wonne macht.

81.

Ich erschrecke vor keinem Schurken; denn kein erschreckbareres Geschöpf ist, als ein Schurke in Gegenwart eines derb ehrlichen Mannes, der ihn kennt und ihn fühlen lassen kann, daß er ihn kennt und ihn zu entlarven im Stande ist.

82.

Der Eigenfinn ist so lange unbelehrbar, als er fich für weise Standhaftigkeit hält. Man muß felten direkte mit ihm zu Werke gehen; man muß ihn fangen in seinen eigenen Schlingen; man muß warten, bis er einen Grundsaß äußert, der einem andern von ihm geäußerten Grundsaß, wie Ja dem Nein entgegensteht.

83.

Lavater und N. N. können nie fich feindselig behandeln; aber Lavater und N. N. können nie Freunde werden, so lange fie in dem Raume der Zeit und der Organisation, in welche ihre ewigen Geister gebannt sind, existiren. Sie können sich allenfalls hochschäzen, be=` wundern, lieben, fich gegen alle Welt mit Aufrichtigkeit und Muth in Schuß nehmen; aber zu dem, was die nichts Unähnliches vermischende Weisheit, Freundschaft im genauen Sinne nennt, können fie in dieser Zeitlichkeit nie kommen.

Wenn der Eine auf dem festen Boden praktischer und beruflicher Erfahrungsweisheit und unidealischer, immer auf den nächsten Gegenstand allein sich zusammennehmender Klugheit, der gern erfreuenden Liebe zu wandeln strebt, und der Andere bald mit lieblicher Heiterkeit, bald mit grimmiger Verachtsamkeit nach nie erreichbaren Idealen bald hinfliegt, bald hinstrauchelt, so kann Einer des Andern Originalität und Sonderbarkeit freundlich anstaunen; aber umarmen können sich diese heterogenen Naturen nicht, und wehe ihnen, wenn sie sich durch irgend eine Mediation der Umstände dazu hinreißen lassen!

84.

Ihre Lage, lieber N., ist schrecklich; aber die Mittel, weitläufige, phraseologische Deklamationen zu schreiben, in welcher Zeit Sie schon wieder ein Paar Bazen, sei es auch nur mit Schreiben, verdienen könnten, scheinen mir thöricht und beinahe kindisch.

Vartien

aus

der unvollendet gebliebenen Beschreibung

der

Reise nach Kopenhagen.

1793.

1.

Wir kamen auf die reichhaltige und erhabene Vielsinnigkeit der Worte Jesu zu sprechen. Es gehört, meines Bedünkens, zum nicht fehr ehrenvollen Charakter unsers geist- und herzlosen Zeitalters, Alles zu verengern, zu verkleinern, auszuleeren, zu verallgemeinern und durch Verallgemeinerung zu vernichten, was große, göttliche Menschen gesagt haben, so geradezu dem Geiste Jesu und des Evangeliums entgegen. Unsere bahrdtischen Gottesgelehrten sagen: „Der engste, beschränkteste Sinn ist der wahrste.“ „Ja, thue ich hinzu, für die engherzigsten und beschränktesten Menschen!" aber durchaus nicht für die Christen, die für große Worte großer Menschen, für große Charakter und für die Manier und den Geist Christi den mindesten Sinn haben. Wie ein Mensch großfinnig ist, so sind es seine Worte. Je größer der Redende, desto reichhaltiger, finnreicher, auf viele ganz verschiedene Fälle anwendbarer find seine Reden. Man denke nur, in wie mannigfaltigem Sinne und bei wie verschiedenen Anläßen Jesus die Worte gebraucht hat und hätte brauchen können: „Wer

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