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aber der Zusammenhang lehrt, dafs sie der Schüler beantworten kann und in seinem Denken lobenswerte Fortschritte gemacht, z. B. unter welchen Bedingungen darf der dramatische Dichter als Genie bezeichnet werden? Wann kann die Handlung wahrscheinlich genannt werden? Was sind Leidenschaften? Welches ist der Unterschied in der Thätigkeit des Genies und des Talents? Auf welchen Gebieten äufsert sich das Genie? Hier kommen wir zu vortrefflichen Dispositionsübungen. Die Gefahren des Genies, die Notwendigkeit der Beschränkung, der Regeln, alles kommt dem Schüler zum Bewusstsein. Weiter: Was heifst romantisch? Wann werden Verstöfse gegen die historische Wahrheit in der Dichtung zu Fehlern? Erörterung des Begriffs der Schwärmerei an einzelnen Charakteren. Welches ist der Unterschied zwischen einem falschen und einem wahren Märtyrer? Inwiefern will das Trauerspiel angenehme Thränen erwecken? Was sind moralische Wunder? warum sind sie im Trauerspiel nicht zulässig? Moralischer Endzweck der Tragödie? Was ist ein christliches Trauerspiel? ist es überhaupt möglich?

Im ersten Teile seiner Abhandlung giebt der Verf. die Stücke der Hamburgischen Dramaturgie an, die zu lesen seien; man kann der Auswahl nur zustimmen. Er setzt aber voraus, dafs der Schüler mit den Dramen, welche Lessing kritisiert, bekannt sei; sei das nicht der Fall, so bringe die Lektüre der Hamburgischen Dramaturgie für die Schüler mehr Nachteile als Vorteile, Nachteile nämlich für den Charakter, sie lernten über Dinge reden, die sie nicht aus eigener Anschauung kennen; es müfsten daher schon in der Obersekunda französische Dramen gelesen werden, Voltaires Semiramis, Merope und Zaïre, Corneilles Rodogune gehörten in den Kanon der französischen Schullektüre. Ist das wirklich notwendig? Unsere an der griechischen und deutschen Poesie genährte Jugend kann doch wenig Geschmack finden an dem klassischen Drama der Franzosen. Und sodann durch die Lessingsche Polemik und Kritik hindurch, deren Wahrheit sich ihr von selbst aufdrängt, gelangt sie zu positiven Resultaten, welche für sie die wichtigste Frucht der Dramaturgie sind; die Objekte, durch deren Sektion die Wahrheit gefunden ist, sind für sie bedeutungslos. Der Ernst der Lessingschen Kritik imponiert ihr; wenn sie auch blindlings jetzt auf Lessing schwört, wird sie nicht damit zu leichtfertigem Aburteilen gebracht; die Gefahr, welche der Charakter laufen soll, ist doch wohl nur erträumt. Dafs der Verf. auch sprachliche Eigentümlichkeiten, Satzbildung u. s. w. beachtet wissen will, ist zu loben; auch auf die stilistische Bildung soll die Dramaturgie wirken, und das ist nur möglich, wenn auf die pracise Schlufsfolgerung, auf treffende Metaphern, prägnante Ausdrücke aufmerksam gemacht wird. Auch hier in dem ersten Teile erwähnt der Verf. die Emilia Galotti als eine Charaktertragödie, in welcher der tragische Ausgang der Emilia nicht ganz unverschuldet, sondern die naturnotwendige Folge eine tragische Schuld und damit in ihrem Charakter begründet sei; diese Auffassung ist bekanntlich heutiges Tages nicht mehr allgemein angenommen. Viele schöne Aufgaben, die im Anschlufs an die Hamburger Dramaturgie der Schüler mündlich oder schriftlich behandeln kann, sind hier und da vom Verf. angegeben. Kein Lehrer des Deutschen in den oberen Klassen möge die Abhandlung unbeachtet lassen.

Zu Lessings Laokoon. Bemerkungen zu Blümners Laokoonstudien. Heft II: Über den fruchtbarsten Moment. Von Oberlehrer Dr. H. Fischer. Programm des Gymnasiums zu Greifswald 1884. 24 S. 4.

Die Abhandlung gehört zwar grofsenteils in das Fach der Kunstgeschichte, sie darf aber nicht ganz im Archiv übergangen werden; es

Der

handelt sich um die Allgemeingültigkeit eines Lessingschen Satzes. fruchtbarste Moment, sagt bekanntlich Lessing, ist derjenige, welcher der Einbildungskraft das freieste Spiel läfst; die höchste Staffel eines Affektes bietet diesen Vorteil nicht, folglich darf diesen Punkt der Künstler nicht wählen. Blümner hat nun nachweisen wollen, dafs eine grofse Zahl, vielleicht die Mehrzahl der als vollendet angesehenen Kunstwerke die äusserste Stufe des Affekts zeigten, wonach dann Lessings Satz nicht zum allgemeinen Princip erhoben werden dürfte. Von einzelnen dieser von Blümner vorgeführten Werke beweist nun aber der Verf., dafs der dargestellte Moment keineswegs die höchste Staffel des Affekts bezeichne. Von der Laokoongruppe giebt er zu, dafs sie zur Erhärtung des Lessingschen Satzes wenig geeignet erscheine, aber bemerkt, dafs sie mindestens ebenso wenig zu seiner Widerlegung geeignet sei. Mit Recht habe dagegen Blümner gesagt, dafs die Grenzen dessen, was mit dem Schönheitsbegriff der Griechen vereinbar war, viel weiter waren als Lessing sich habe träumen lassen. Auch giebt er Blümner zu, dafs die christliche Malerei des Mittelalters vor der Darstellung von Gegenständen des äufsersten Affekts oder des höchsten Punktes der Handlung keineswegs zurückgeschreckt sei; diese Kunst habe ja mehr im Dienste der Religion als der Schönheit gestanden. Einzelne grofse Meister der modernen Kunst führt dann der Verf. vor, um an ihnen Blümners Widerspruch zu prüfen. Da sehen wir denn, dafs selbst der kühnste von allen, Michelangelo, nur in wenigen Werken den Höhepunkt der Handlung gewählt hat, sonst immer einen dem Gipfel der Handlung bald vorangehenden, bald nachfolgenden Augenblick. Die weiteren Auseinandersetzungen des Verf. über Rafael, Correggio, Tizian, Dürer, Rubens, die Maler der Gegenwart müssen hier übergangen werden; wir empfehlen sie allen denjenigen, welche sich für die Kunst und die Afterkritik interessieren, die letztere bekommt manches verdiente Wort zu hören. Der Verf. schliefst damit, dafs er Blümners Einwendungen gegen den Lessingschen Satz als im wesentlichen unbewiesen erklärt, dafs zu allen Zeiten wahre Künstler bei Darstellung von Handlungen, welche mit hoher Steigerung des Affekts verbunden sind, es vermieden haben, den höchsten Punkt der Handlung zu wählen, dass es aber auch Werke giebt, bei denen es dem Künstler gar nicht darauf ankommt, die Phantasie anzuregen, sondern eben nur den dargestellten Moment zu zeigen. Somit bleibt es bei der Gültigkeit des Lessingschen Satzes als eines allgemeinen Kunstgesetzes.

Goethe als Student in Leipzig. Von Prof. L. Blume. Programm des akademischen Gymnasiums in Wien 1884. 19 S. gr. 8.

Der noch verbreiteten Meinung gegenüber, als ob Goethes Lebensweg so glatt und geradlinig gewesen, dafs ihm jeder Umweg und jede Verirrung auf demselben erspart geblieben sei, will der Verf. nachweisen, dafs auch in Leipzig Goethe mancherlei Wandlungen innerlich durchgemacht habe. Die Beweise dafür sind richtig beigebracht; sie lagen aber schon in der bisherigen Litteratur über diese Periode vor; wer mit dieser bekannt ist, findet hier neue Aufschlüsse nicht vor; eine geschickte Zusammenstellung des Bekannten ist jedoch der Arbeit nicht abzusprechen.

Zu Goethes Gedichten.

Von Karl Rieger. Programm des Franz-Joseph-Gymnasiums zu Wien 1884. 16 S. gr. 8.

Der Verf. setzt das Gedicht „Beherzigung“ in das Jahr 1775 nach der Rückkehr von der Schweizerreise, wo Goethe doch nicht wufste, ob er bleiben solle; in dem Gefühl der Unruhe gebe sich der Dichter den Be

scheid, dafs jeder nach seinem Triebe handeln, aber sich treu bleiben müsse. Gleichzeitig, dieselbe Situation darstellend ist dem Verf. das Gedicht „Erinnerung". Von der Kantate „Rinaldo", welche 1811 entstanden, giebt der Verf. eine Einzelerklärung. Er giebt die vielfachen Anklänge an das dem Dichter von Jugend an bekannte Gedicht Tassos an, sowie aber auch die darin sich aussprechende Stimmung Goethes; damals habe derselbe bei der Arbeit an seiner Autobiographie in der Erinnerung sich wieder ganz in die Jugendzeit versenkt, und sein innerliches Verhältnis zu Lili klinge noch einmal wieder aus diesem Gedichte uns entgegen. Die Erklärung hat viel für sich.

Goethes Iphigenie auf Tauris, nach den vier überlieferten Fassungen. Von M. Reckling. Programm des Gym

nasiums zu Buchsweiler 1884. 32 S. 4.

Die Arbeit weist mit minutiösem Fleifse nach, wie, je mehr sich die Gestalt der Heldin dem Dichter verklärte, er um so mehr strebte, dieser Gestalt die reinsten Farben zu geben, und mit welcher minutiösen Sorgfalt er dabei zu Werke ging, bis er endlich seiner Dichtung diesen bezaubernden Wohllaut der Sprache verliehen hatte. Die vier Bearbeitungen sind 1883 von Bächtold herausgegeben, es sind die erste Prosafassung von 1779 (A), die Fassung in freien lamben von 1780 (B), die dritte Prosabearbeitung von 1781 (C), endlich die letzte Bearbeitung in fünffufsigen lamben (D). Dazu kommt noch die sogen. Strafsburger Fassung, welche Bächtold vor B, dagegen der Verf. wegen der hier aufgezählten Abweichungen von A und B nach B setzt. Über die Entstehung und Weiterbildung der Iphigenie hat Düntzer die Beweisstellen gesammelt, aus denen der Verf. einen Auszug giebt. Die sowohl Motivierung als Stil berücksichtigende stete Vervollkommnung des Gedichtes tritt uns erst bei einer sorgfaltigen Vergleichung der verschiedenen Fassungen entgegen, und der Verf. der Abhandlung hat sich das grofse Verdienst erworben, diese aufs genaueste vorgenommen und die Änderungen nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet zu haben, und zwar vergleicht er zuerst die drei Bearbeitungen A, B, C und zuerst in Stil und Ausdruck; demnach sind die Änderungen in C mehr dem Charakter der redenden Person angepafst, so dafs der Ausdruck edler wird, im Einzelnen findet sich gröfsere Pracision, unnötige Worte sind gestrichen, aber es werden auch fehlende Zwischengedanken ergänzt, Sätze zu besserer Verbindung ungestellt. Zweitens verwendet der Dichter in C verschiedene Mittel, um einen gewissen poetischen Rhythmus zu schaffen. Sodann werden ausführlicher C und Dverglichen; die Anderungen sind ungemein zahlreich und legen so recht klar die wachsende Vertiefung des Dichters in sein Werk dar, da zeigen sich die vielen Änderungen in Bezug auf den Ausdruck und Stil, die der Situation und den Charakteren mehr entsprechen, den Ausdruck veredeln, verdeutlichen, Unnötiges und Unpassendes entfernen, fehlende Zwischengedanken ergänzen, epische Fülle erstreben, durch Personifikationen die Diktion poetischer machen. Dazu sind natürlich die Änderungen aus metrischen Rücksichten sehr zahlreich, welche wiederum von dem Verf. nach verschiedenen Gesichtspunkten wohl geordnet sind. Wie es nun kam, dafs das Gedicht in seiner neuesten, uns so fesselnden Gestalt ohne Begeisterung von den Zeitgenossen aufgenommen wurde, wird erklärt dadurch, dafs man die alte Form gewöhnt war; so erklärt sich Goethe selbst das Auffallende. Der Verf. findet den Grund aber darin, dafs damals noch die ästhetische Urteilskraft nicht gebildet genug war, um die neuen Schönheiten zu fassen, dafs damals noch die Sturm- und Drangperiode nicht vorüber war, das Publikum noch für Schillers erste dramatische Kraftdichtungen schwärmte. Gerade Schiller aber war es, der damals die neue Iphigenie viel vollkommener als die frühere nannte.

Die Schicksalsidee in Schillers Wallenstein. Von Dr. F. G. Hann. Programm des Gymnasiums zu Klagenfurt 1884. 17 S. gr. 8.

Der Wallenstein, sagt der Verf., ist eine rechte Schicksalstragödie im antiken Sinne. Die Schicksalsmacht tritt auf in der Form des Gestirnglaubens, der Gestirnglaube und folglich die Schicksalsidee ist die wirkende und stürzende Macht, der Lebensnerv des dramatischen Werkes; diese Schicksalsidee in Schillers Wallenstein sei bisher zu wenig gewürdigt. Der astrologische Wahn Wallensteins? Doch wohl nicht. Aber kämpft denn Wallenstein gegen diesen Gestirnglauben, der doch das Schicksal sein soll, an? Kann da von einer Schicksalstragödie die Rede sein? Der Verf. wird sich doch wohl mit der vulgaren Ansicht vertragen können. Es ist eine Fortsetzung der Arbeit versprochen; möge diese nicht mit so zahllosen Druckfehlern überladen sein, wie dieser erste Teil; der ärgste ist S. 5: „die entscheidende Tat, der Bois welcher mit Notwendigkeit des Helden Untergang herbeiführt, ist getan."

Herford.

Hölscher.

Miscellen.

Faust und Proserpina.

Goethe schrieb am 23. September 1800 an Schiller: „Meine Helena ist die Zeit auch etwas vorwärts gerückt; die Hauptmomente des Plans sind in Ordnung u. s. w. Das sehe ich schon, dafs von diesem Gipfel aus sich erst die rechte Aussicht über das Ganze zeigen wird", worauf Schiller ergänzend antwortete: „Dieser Gipfel, wie Sie ihn selbst nennen, mufs von allen Punkten des Ganzen gesehen werden und nach allen hinsehen."

Am 5. Juli 1827 aufserte Goethe zu Eckermann: „Ich hatte den Schlufs (der Helena) früher ganz anders im Sinne, ich hatte ihn mir auf verschiedene Weise ausgebildet und einmal auch recht gut; aber ich will es euch nicht verraten. Dann brachte mir die Zeit dieses mit Lord Byron und Missolunghi, und ich liefs gern alles Übrige fahren." Am 15. Januar 1827 hatte er zu demselben folgende Äufserung gethan: Fausts Rede an die Proserpina, um diese zu bewegen, dafs sie die Helena herausgiebt was mufs das nicht für eine Rede sein, da die Proserpina selbst zu Thränen davon gerührt wird!"

Dies sind die bedeutsamsten Bemerkungen Goethes über seine HelenaSchöpfung wenig genug, um ein völlig sicheres Bild zu bekommen: nur soviel erhellt, dafs die Ausführung wesentlich anders geworden ist, als ursprünglich beabsichtigt. Auf jenen Bemerkungen, sowie auf einer gründlichen Erwägung des überlieferten Helena-Textes fufsend, aufsert der scharfsinnige Goetheforscher Wilhelm Scherer sich in sehr einleuchtender, eindringlicher Weise über die Art und Weise, wie der Altmeister vermutlich, ja höchst wahrscheinlich, seine Helena anfänglich im Sinne gehabt hatte. So auch nimmt er bestimmt an, dafs zwischen dem zweiten und dritten Akte eine Lücke ist, wie schon aus obigem Gespräch mit Eckermann ersichtlich, indem an fraglicher Stelle Fausts Eintritt in die Unterwelt und die Erweichung der Proserpina behandelt werden sollte. Ich stimme dieser Ansicht Scherers vollständig bei, wenngleich v. Loeper (in seiner zweiten FaustAusgabe) dagegen spricht: „Goethe hatte die Absicht, die Scene in der Unterwelt auszuführen, wie Faust, ein anderer Orpheus, die Helena durch seine rührenden Bitten der Proserpina abgewinnt; nicht blofs die Schwierigkeit, sondern wohl noch mehr die Einsicht, dafs sie dramatisch_entbehrlich sei, wird den Dichter von der Ausführung abgehalten haben." Ich bedaure, dafs wir die unentbehrliche und wirksame Scene nicht von Goethes Meisterhand besitzen, und habe nun den Versuch gewagt, unter Anlehnung an

• Deutsche Rundschau 1883/84.

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