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länder, zu Anfang sein Leben in leidenschaftsloser Reinheit. Da erwacht in ihm das Verlangen nach einem andersgearteten Leben. Doch nur mit der Seele eines Andersgearteten könnte er ein solches führen. Sein Wille wird so stark in ihm, dafs er unbewusst seine Seele gegen die eines anderen tauscht, der ein leidenschaftlicher Sünder eben stirbt. So wird Valentine, der Held, zu Marr, dem Sünder. Die Seele von Marr lebt in Valentine weiter, während dessen Seele als Flamme körperlos über die Erde hinirrt. Körperlich bleibt also Valentine der Alte, die Wandlung ist blofs seelisch und vollzieht sich ihm vorerst unbewusst. Sie wird ihm selbst und seiner Umgebung nur langsam und schrittweise klar. Am deutlichsten erweist sie sich in dem ansteigenden bösen Einfluss, den Valentine auf seinen Freund Julian nimmt. Früher, da er noch mit Recht 'the Saint of Victoria Street' hiefs wegen seines fleckenlosen Wandels, hat er Julian, ein gutmütiges, aber schwaches Weltkind, vor den Lockungen der Sünde zu bewahren versucht und durch sein Beispiel das auch vermocht. Jetzt zieht er ihn, der Sünder, in die sündigen Kreise seines neuen Lebens. Immer tiefer sinkt Julian im Glauben an Valentine. Erst zum Schlufs erkennt er dessen dämonische Wandlung. Nun macht er sich innerlich von ihm frei. Und so kann sich auch Valentine von der verderblichen, fremden Seele befreien, seine reine Seele wiedergewinnen. Es geschieht im selben Augenblick. Aber diese moralische, resp. seelische Wiedergeburt kostet beiden ihr physisches Leben. Sie sterben. Ob diese krause Geschichte einem Occultisten - derb herausgesagt ebenso dumm vorkommt wie mir, weifs ich nicht. Meine bescheidene Bildung reicht eben nicht bis ins occultistische Gebiet hinein. Aber ich möchte es glauben. Denn warum sollte ich nicht occultistisch denken und fühlen lernen an der Hand des Autors während der Lektüre seines Romans? Die Wirkung jedes Kunstwerks besteht doch darin, dafs der Laie für die Dauer des Geniefsens sich selbst verliert und aufgeht im Künstler, dafs er dessen vorgetäuschte Welt als seine Welt empfindet, also

um im Bilde zu sprechen des Künstlers Seele gegen seine tauscht. Freilich gelingt das nur, wenn der Künstler eine lebensfähige Welt geschaffen von innerer Wahrheit, wenn er durch die Mittel seiner Darstellung den Laien zur unbewussten Nachschöpfung gezwungen hat. Ich habe nun dem Autor gegenüber versagt. Warum? Gewifs nicht wegen Mängel der Darstellung. Sie ist so lebendig, dafs sie mit ihrer Eindringlichkeit die Nerven zittern macht, solange der Stoff nur halbwegs möglich wirkt. Dieser wird aber des öfteren und besonders am verstimmenden Schlufs zur baren Unmöglichkeit. Der Autor scheitert an seinem Stoff.

Der Grund ist leicht einzusehen. Der Autor bildet seinen Stoff weder blofs als Realist nach dem wirklichen Leben, noch schöpft er ihn nur aus seiner frei, aber naiv schaffenden Phantasie, sondern er konstruiert. Dabei vermengt er unverträgliche Elemente. So gestaltet er einmal nach dem Leben. Alles, was von der Handlung realistisch möglich ist, gehört hieher. Mithin dass ein reiner Mensch das Opfer seiner unreinen Instinkte wird; dafs ferner dieser Mensch die Reinheit an anderen, wie er sie früher

gefördert hat, nun nicht mehr verträgt und den andern zur Unreinheit verleitet, ja ihn noch tiefer stöfst, als er selber steht; dafs endlich der Verführte sich gegen den Verführer aufbäumt, sich aus der Unreinheit löst und damit wieder auf den Verführer zurückwirkt, diesen zu seiner früheren Reinheit bekehrt. Daraus ersieht man, dafs das Problem in seinen Grundzügen völlig realistisch ist, d. h. menschenmöglich nach unserer gesunden psychologischen Erfahrung. Doch es ist zu gleicher Zeit gewöhnlich, also im oberflächlichen Sinne nicht interessant. Davon will aber der Autor seinem Stoffe eine möglichst starke Dosis beimischen. So sucht er das im Kern Gewöhnliche wenigstens durch die Schale seltsam zu gestalten und greift zum Zweck der Einkleidung seiner Fabel nach der occultistischen Lehre vom Seelentausch. Diese Praktik wäre noch erträglich, wenn er das Kostüm der Figur anpassen würde, wenn er den occultistischen Kram nur als Symbol verwerten würde, als blofse sinnfällige Ausdrucksform für den geistigen Gehalt. Aber er macht es umgekehrt: er vergewaltigt den Geist durch die Form. So verfällt er den lockenden Reizen hohler Theatralik. Er verbildet seinen im Wesen gesunden Stoff zu krankhaften Unmöglichkeiten. Mit seinen äufserlichen Effekten bringt er sich um die innerliche Wirkung.

Hat sich der Autor seine Hauptfabel in stofflicher Hinsicht verdorben durch seine Sucht nach exotischen Reizen, so wirkt er formal, in der Darstellung als Stilist, meist stark. Freilich nicht als Neuerer: er bleibt in den alten Geleisen.

Hier war seine oberste Sorge auf eine gute Komposition gerichtet, also auf eine wirkungsvolle Gruppierung der einzelnen Phasen der Fabel. Er bleibt bei der einfachsten Manier: streng chronologisch stellt er die Ereignisse im natürlichen Ablauf dar. Das war bei einem so verwickelten Thema wohl auch nötig zum Zweck der Verständlichkeit.

Im weiteren mufste es sich ihm um die künstlerische Bewältigung der Details handeln. Wesentlich hat er mit zwei Elementen zu operieren: mit der Lokalschilderung und der Figurencharakteristik.

Das Lokal kann direkt dargestellt werden. Da wird der betreffende Schauplatz objektiv beschrieben, so wie er sich einer normalen Betrachtung zeigt. Oder aber die Darstellung erhebt sich zu subjektiver Schilderung: sei es dafs der Autor den Vorgang auf sich wirken lässt und aus dessen Stimmungsgehalt heraus den zugehörigen Schauplatz stimmungsmässig färbt, sei es dafs er die Rolle des Schilderers an eine der in den Vorgang verflochtenen Figuren abtritt, wodurch die Schilderung ein aktuelles und persönliches Gepräge erhält.

Dies sind die drei wichtigsten Arten der Darstellung des Milieu. Welche Art der Autor ausschliefslich oder vornehmlich verwendet, steht ihm frei. Die Gesamtwirkung mufs sich aber hiedurch verändern. Je inniger Vorgang und Schauplatz miteinander verwachsen, um so intimer wird der Eindruck beim Leser sein, um so stärker dessen Illusion. Die objektive Darstellung unterbricht als fremdes Element den Gang der Handlung völlig. Bei situationsgemäfser Schilderung wird die Stim

mung festgehalten. Organisch verschmilzt das Fabelstück mit dem Lokal nur, wenn dessen Schilderung von der beteiligten Figur bestritten wird. Unser Autor mischt alle drei Arten, bevorzugt aber bei weitem die objektive. Als scharfer Beobachter frönt er unkünstlerisch seiner Lust an direkter Lokalbeschreibung.

Das andere Element, mit dem er im einzelnen zu arbeiten hat, ist die Figurencharakteristik. Auch sie erfolgt in zweierlei Weise: direkt in Form eines psychologischen Kommentars seitens des Autors, der den Leser aufmerksam macht oder aufklärt, indirekt durch die Figur selber, deren geistiges Wesen sich aus ihrem Thun und Lassen erschliefst. Dafs nur die indirekte Charakterisierung illusionierend wirkt, liegt auf der Hand. Der Kommentar ist tote Wissenschaft statt lebendiger Poesie. Unser Autor betreibt nun sehr ausgiebig diese wissenschaftliche Psychologie. Er kommentiert teils gezwungen: aus Unvermögen, den Charakter in durchsichtiger Handlung überzeugend aufzulösen, teils überflüssig: aus Hochmut, weil er seinen Leser für nicht gescheit genug hält, die Figur im Handeln zu durchschauen. Er betreibt diese Kommentiererei offen in Exkursen oder gleich übel im Eindruck verkappt, wenn er eine Figur psychologisch meditieren oder mehrere Figuren psychologisch diskutieren läfst.

Die Darstellung im Detail ist mithin vorwiegend altstilig, episch im äufserlichen Sinne: der Autor lüftet alle Augenblicke sein Inkognito, unterbricht den Gang der Handlung, um seinen Leser über Lokal oder Figur autoritativ zu instruieren.

Ganz dieselbe Prägung trägt auch der zweite Roman. Die Haupthandlung von The Slave ist folgende: die Heldin ein junges, schönes Mädchen, arme Aristokratin, somit ohne Aussichten auf eine reiche Heirat liebt die Juwelen mit ausschliesslicher Leidenschaft. Gegen Männerliebe ist sie gefeit, sei das die ehrliche Hingebung ihres treuen Jugendfreundes oder die rührende Verehrung eines knabenhaften Akrobaten oder die glühende Sinnlichkeit eines sieggewohnten Sängers. Kühlen Sinnes wird sie die Frau eines alten, hässlichen, in London nur halb civilisierten Orientalen, weil einzig er, der fabelhaft Reiche, sie mit Edelsteinen überschütten kann. Sie wird seine 'Sklavin'. Kühl bleibt sie ihm in der kurzen Ehe auch treu bis zu seinem plötzlichen Tode. Jetzt bricht der Reichtum zusammen. Der Orientale war waghalsiger Börsenspekulant geDer Witwe bleibt nichts als eine sehr bescheidene Existenz und ein wunderbarer Smaragd. Er war ihr einziges persönliches Eigentum in der Ehe, das Hochzeitsgeschenk ihres Mannes. Dieser Stein allein repräsentiert ein Vermögen. Aber sie kann sich von ihm nicht trennen. Nicht lange, und er wird ihr geraubt. Nur stehlen wollte ihn der Dieb der Schlafenden. Aber sie erwacht, und es entspinnt sich ein Kampf auf Tod und Leben. Zuletzt siegt der hünenhafte Räuber und entkommt unerkannt, bleibt unentdeckt. Die Heldin wandelt dann in kalter Gleichgültigkeit durchs Leben. Bald zwar wird sie durch Erbschaft wieder reich. Doch sie trauert freudlos um den verlorenen Stein. Da entdeckt

wesen.

sie zufällig den Räuber. Er ist ein brutal-widerwärtiges Individuum, das sich in Pseudoeleganz an die Londoner Gesellschaft herandrängt, natürlich nur als outsider, soweit man mit Geld ohne Namen unter allseitigem Argwohn mitthun kann. Die Heldin lebt wieder auf. Nun verliert sich die Fabel ins Dunkle. Nur eine Scene noch: die Heldin als Frau des Diebes oder, besser gesagt, des Besitzers vom Smaragd, in der Opernloge, glückstrahlend, da ihr der herrliche Stein wieder um den Nacken hängt.

Wie verwickelt die Fabel ist, so verblüffend einfach ist das Problem: die Heldin hat die Juwelenmanie. Sie opfert ihrem Stein alles: Liebe, Ehre, Anstand, Lebensstellung und Wohlleben, sie kämpft um ihn mit der Todesverachtung einer verwundeten Bestie, sie trauert um ihn in der Erschlaffung einer Geistesgestörten. Alle Register werden vom Autor aufgezogen, er zeigt uns seine Heldin von allen Seiten. Aber immer nur giebt er Thatsächliches, blofs äufsere Erscheinungen, niemals erklärt er aus dem Innenleben. Von Anfang bis zu Ende bleibt die Heldin eine rätselhafte Sphinx, unbewegt in sich trotz ihres bewegten Lebens.

Auch das ist seltsam. Wieder verdirbt sich der Autor sein Problem, indem er um jeden Preis 'interessant' werden will. In Flames geht er positiv zu Werke: er überdeutlicht durch occultistische Erklärung. Im Slave gefällt er sich in der Negation jeglicher Begründung. Hier wie dort narrt er seinen Leser: man hofft während der Lektüre von Seite zu Seite auf eine natürliche Lösung. So verbirgt der Autor jedesmal den eigentlichen Charakter seiner Probleme wie es scheint mit berechnender Absicht: man soll ihn nicht durchschauen, um nicht etwa das Buch mit dem bitteren Wort 'Kolportageroman' halbgelesen aus der Hand zu legen.

Ich freilich hätte beidemal zu Ende gelesen wegen des Beiwerks. Die Romane spielen im heutigen London, ihre Hauptfabeln auf dem Boden der 'Gesellschaft'. Sie spinnen sich aber episodisch auch nach den unteren und untersten Schichten der Bevölkerung. Der Autor kennt sich oben und unten gut aus. Er hat für Klassen- und Kastenleben da und dort ein scharfes Auge und weifs ausgezeichnet darzustellen. Seine Genrescenen sind gut abgerundet und treten plastisch heraus, bestechen durch überzeugende Echtheit und atmen warmes Leben, sie heimeln intim an. Seine Genrefiguren verbinden mit den herben Konturen von Momentbildern eine typische Tiefe, die sie zu wahren Kunstgebilden verallgemeinert. So in den genrehaften Intermezzos. Aber der Autor ist noch mehr als ein treffsicherer Sittenschilderer. In jeden dieser Gesellschaftsromane verflicht er eine 'proletarische' Nebenhandlung. Wahrscheinlich aus der glücklichen Erwägung heraus, dafs er gegen die von des Gedankens Blässe angekränkelten Konstruktionen seiner Haupthandlungen lebensfrische Gegengewichte braucht.

In Flames mutet einen das Problem der Nebenhandlung für einen englischen Roman unserer Zeit sogar sehr kühn an. Die Heldin ist eine Strafsendirne. Sie hat alle Unarten und Widerlichkeiten des verwahrlosten Mädchens aus dem Volke, das so tief gesunken ist. Das Typische

der Figur wird nicht etwa gemildert, sondern tritt mit stärkster Deutlichkeit heraus. Als wichtige Gestalt mufs sie ja eingehend behandelt werden, und die realistische Manier des Autors rückt sie in helles Licht. Cuckoo wird uns in allen nur halbwegs möglichen Situationen vorgeführt. Trotzdem wirkt sie anziehend und liebenswürdig. Freilich zeigt sie uns der Autor in der aufsteigenden Linie ihres Lebens, wie sie sich durch ihre langsam erwachende und mählich anschwellende Liebe zu Julian aus ihrem Pfuhl nach und nach herausarbeitet. Dabei wird jede falsche Sentimentalität und geschminkte Romantik à la Dame aux Camélias völlig vermieden. Sie ist die Verlorene, die sich wiederfindet. So wird ein menschlich wahres Problem natürlich gelöst. Es ist interessant weil originell, und gesund weil, obschon selten, doch nicht seltsam. Der Sittenschilderer erhebt sich hier zum Lebensschilderer, der nachbildende Beobachter zum schöpferischen Vorbildner.

Ähnliches gilt für die Nebenhandlung im Slave. Die Heldin gehört als Tänzerin im Ballettchor zur Klein-Bohème. Social ist sie vollkommen das Geschöpf ihres Milieu. Sie hat alle Unarten, aber nicht die Untugenden ihres Standes. Individuell ist sie rein und fein, nicht in den Formen, aber im Wesen, in ihrem Denken und Empfinden. Mit ihr, der kürzlich grundlos verlassenen Braut, trifft der vornehme Jugendfreund und abgewiesene Werber der Hauptheldin zusammen. Sie sind also Leidensgenossen. Er fühlt sich bezwungen von der stillen Reinheit ihrer Natur, sie erwärmt sich an der Freundschaft des Wunschlosen. Bald dämmert in beiden unbewusst eine schüchtern keimende Liebe. Bevor sie noch bei ihm zum Durchbruch kommt, erstickt er sie in seinem Herzen; er will eben treu in Diensten seiner Dame stehen. Das Mädchen errät die Wendung mit dem Feinsinn des Weibes und findet dann ihren Lebenshalt einwandsfrei in einer leidenschaftslos, aber sympathisch geschlossenen Ehe. So sind es nur gebrochene Töne, die der Autor hier anschlagen kann. Das Thema, so derb es seinem der niederen Bohème entwachsenden Milieu nach äufserlich auch ist, es lebt innerlich von zartester Diskretion. Auch dies ist dem Autor völlig gelungen.

Die beiden Mädchen aus der unteren Demimonde und Bohème sind dichterische Schöpfungen ersten Ranges: menschlich liebwert, litterarisch fesselnd, künstlerisch bedeutend.

Überschaut man des Autors Verhalten in beiden Romanen, so zeigt es den auffallenden Gegensatz zwischen dem raffinierten Gestalten der Haupthandlungen und dem naiven der Nebenhandlungen. Die Ursache liegt darin, dafs er den Stoff für jene freischöpferisch bildet, für diese im Leben findet. Mit jenem scheitert er, mit diesem glückt es ihm. Auf Grund der Beobachtung zu schaffen, gelingt ihm. So steht er auf der ersten Stufe dichterischer Entwicklung. Wo er hingegen souverän aus freier Phantasie heraus ein gedankentiefes Problem in Handlung verkörpern mufs, da wird er am Problem zum unsicheren Grübler, und die daraus erwachsende Handlung kann keine festen Umrisse gewinnen. Er ist vor dem höchsten Ziel seiner Kunst elend zusammengebrochen, nach

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