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allgemeine Standpunkt der Gelehrsamkeit eines Zeitalters bietet in der Menge seiner Annahmen nicht so viel Gewißheit dar, wie das System eines Philosophen; aber bei aller seiner Verworrenheit ist er doch immer der Grund gewesen, aus welchem alle philosophischen Systeme sich erhoben haben, wärend jedes System eines Philosophen nur einen fleinen Theil der allgemeinen Bildung seiner Zeit auszudrücken vermocht hat. Durch seinen allgemeis nen Zweifel konnte Descartes doch nur einen Theil der Gedanken vorläufig zurückschieben, welche in der Entwick lung seines Geistes durch die Überlieferung auf ihn ge= kommen waren; so wie er zum weitern Ausbau seines Systems gelangte, drängten die zurückgesezten Gedanken von Neuem sich hervor und suchten die Stelle auf, wo sie ihre Bestätigung finden könnten. Seine Reform trägt die vornehme Haltung des Mannes an sich, welcher der Schule entwachsen von den Stammhaltern der alten Bildung sich absondern zu können meint. Descartes nimmt dabei die Miene an, als wollte er der Schule ihren Lauf lassen und nur für sich bauen. Aber seine Hoffnungen find nicht so bescheiden; er meint doch, seine Philosophie würde bald alle andere Lehrweisen verdrängen 1). Nur dadurch läßt sich sein Unternehmen vertheidigen, daß man erkennt, daß zu seiner Zeit die bisherige Übung der Schule einer Reform in seinem Sinn bedurfte. Ein günftiges Vorurtheil dafür wird man allerdings faffen kön= Sein Unternehmen steht nicht vereinzelt da. Ba= con und Hobbes, um nicht Geringere ihm zu vergleichen,

nen.

1) Epist. ps. III, 17 p. 62.

hatten Ähnliches im Sinne.

Seit der Wiederherstellung

der Wissenschaften hatte man oft Neuerungen in der Philosophie versucht. Die jest hervortretenden Versuche bezeichnet man nur nicht richtig, wenn man sie als Unternehmungen betrachtet das System des scholastischen Ariftoteles zu verdrängen. Dieses herschte nur noch in den niedern Kreisen des Unterrichts und ist in diesen, besonders in den Schulen der Jesuiten, auch noch lange nachher herschend geblieben; auf den Universitäten, besonders in Italien, war es schon verschwunden oder erschüttert; bei den Gelehrten, an welche sich jene Reformatoren der Philosophie wandten, war es fast gänzlich in Misachtung; ihre Reformen gingen vielmehr darauf aus den Einfluß der philologischen Bildung, der Verehrung, welche man der alten Philosophie überhaupt zugewandt hatte, nebenbei auch die Lehren der chemischen Theosophie zu verdrängen. Aber bei der Würdigung solcher Reformen wird es immer. weniger darauf ankommen zu wissen, was sie beseitigten, als was sie an die Stelle sezten.

Ehe wir die Lehren des Descartes auseinanderseßen, müssen wir einiges über die Form seiner Schriften vorausschicken. Er hat in Französischer und Lateinischer Sprache geschrieben, doch ist Zahl und Umfang seiner Lateinischen Schriften größer als seiner Französischen und die Lateinische Sprache ist ihm in wissenschaftlichen Untersuchungen geläufiger als seine Muttersprache 1). Sein Französischer Stil wird für ein Muster des wissenschaftlichen Ausdrucks gehalten, doch fehlt es ihm an Beweglichkeit

1) Vergl. Baillet tom. II p. 471. Gesch. d. Philos. XI.

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und Fülle. Die Nachlässigkeiten seines Lateinischen Stils lassen erkennen, daß er den Übergängen aus der gelehrten in die volksthümliche Philosophie angehört; seine. Sprache zieht ihn mehr an die erstere als an die legtere heran. In der Auseinandersegung seiner Gedanken bedient er sich meistens einer freien Darstellung, welche von seiner Persönlichkeit sehr viel in sich aufnimmt. Man würde sich jedoch täuschen, wenn man diese Einkleidungen aus dem Muster ableiten wollte, welches er von der philosophischen Methode im Sinne trug. Denn seine Absicht ging dahin der Philosophie dieselbe Sicherheit zu geben, welche die Mathematik in ihren Fortschritten gewonnen hatte, und er hoffte dies durch die Anwendung der mathematischen Methode auf die Philosophie zu erreichen. Er hat auch wirklich auf Bitte seiner Freunde hierin eis nen Versuch gemacht 1). Doch wird man schwerlich fagen können, daß derselbe viel Gelungenes darböte. Wenn man ohne alle Rücksicht auf den Inhelt ihrer philosophi schen Lehren, nur in Bezug auf ihr philosophisch-mathematisches Verfahren Descartes und Hobbes mit einander vergleicht, so wird man diesen jenem bei weitem überlegen finden. Die Philosophie des erstern steht mehr als die Philosophie des legtern mit den höhern Intereffen des Lebens und der Person in Verbindung, wird aber auch von diesen Interessen so bewegt, daß er sie auf einen rein wissenschaftlichen Ausdruck zuruckzubringen nicht vermocht hat. Wenn man seine verschiedenen Versuche in der Darstellung seiner Gedanken vergleicht, bemerkt,

1) De prima phil. Resp. II p. 85 sqq.

man, daß er weder über das Gewicht seiner Begriffserklärungen oder Beweise, noch über den Gang in der Entwicklung - seines Systems zur Sicherheit gekommen war.

Man wird hierbei die Stellung nicht übersehn dürfen, welche er in seiner Philosophie zu den Überzeugungen seiner Kirche einzunehmen für gut hielt. Er unterwirft sich unbedingt dem Ansehn der katholischen Lehrweise 1). Wenn seine Lehre von der Entstehung der Welt mit der Schöpfungslehre nicht in Einklang zu stehen scheint, meint er, sie sollte doch nur eine Einsicht in die Natur der Dinge geben. Da Erhalter und Schöpfer dasselbe sei, könnte sie der schöpferischen Macht Gottes keinen Abbruch thun 2). Seine Unterwerfung unter den kirchlichen Glauben läßt ihn nun eine ftrenge Grenze zwischen der Philosophie und der Theologie ziehn, wie es den Philosophen seiner Zeit ge= wöhnlich war. Zwei Lichter unterscheidet er, welche uns erleuchten, das natürliche Licht, welchem die Philosophie folgt, und das übernatürliche Licht der Gnade. Wie dunkle Dinge auch die innere Erleuchtung des leßtern uns zeigen möge, er zweifelt doch nicht daran, daß es mit größerer Klarheit und Gewißheit uns erfülle, als das erstere 3). Dem natürlichen Lichte sollen wir daher auch

1) Princ. phil. IV, 207.

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2) Ib. III, 45; de meth. 5 p. 28 sq. Er ist überhaupt für die Lehre von der Schöpfung. De prima phil. Resp. III p. 102. 3) De prima phil. Resp. II p. 78. Ratio formalis, propter quam rebus fidei assentimur, consistit in lumine quodam interno, quo a deo supernaturaliter illustrati confidimus ea, quae credenda proponuntur, ab ipso esse revelata et fieri plane non posse, ut ille mentiatur, quod omni naturae lumine certius est.

nur so lange vertrauen, als keine Offenbarung entgegensteht 1). In diesem Sinne forschend empfiehlt er seine Lehre, weil sie besser als jede andere mit der Theologie übereinstimme, und unternimmt es sogar das Wunder der Brodtverwandlung nach seinen Grundsägen vorstellig zu machen 2). Hierbei denkt er die Einheit der weltlichen Wissenschaft nicht aufzugeben, welche seine Philosophie umfaffen soll 3). Er sucht eine Wissenschaft, welche uns über alle Dinge ein sicheres Urtheil verschaffen soll; in welcher alle Säge zusammenhängen; denn alle Wahrheiten haben Zusammenhang. Diese Wissenschaft nennt er die höhere allgemeine Mathematik, weil er seine Wissenschaft nach dem Muster der mathematischen Wissenschaften in einer langen Kette von Schlüssen ausbilden wollte 4). Aber er ist auch davon überzeugt, daß unsere natürliche Fassungskraft ihre Schranken habe; er meint, wir könnten wohl alle Wege des natürlichen Lichts zur Erkenntniß der Wahrheit uns zur Übersicht bringen, und wenn wir gefunden hätten, daß keiner derselben zur Beantwortung einer vorgelegten Frage führe, dürften wir fühn behaupten, daß sie nicht beantwortet werden könnte; alsdann würden wir uns mit der Überzeugung beruhigen können, daß niemand darüber mehr wissen könnte als wir 5). Hierin liegt nun die Hinweisung auf ein Gebiet der

1) Princ. phil. I, 28; 76.

2) De prima phil. Resp. IV p. 137 sq.; epist. ad P. Dinet p. 152 sq.; epist. I, 114 p. 367; II, 54 p. 206; 117 p. 400. 3) Ad Voet. p. 13; princ. phil. praef. p. 2 sq.

4) Regulae ad dir. ingen. 1; 4 p. 11 sq.; ad Voet. p. 22. 5) Reg. ad. dir. ing. 7 p. 19; 8 p. 23.

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