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ZUR CHRONOLOGIE UND VERFASSERFRAGE ANGELSÄCHSISCHER

DICHTUNGEN.

I. Kynewulf.

Von verschiedenen seiten schon ist versucht worden, in das chaos der denkmäler und fragmente angelsächsischer dichtung mit hilfe sprachlicher kriterien eine chronologische und damit auch literarhistorische ordnung zu bringen.

Aber diese versuche haben zu so weit auseinandergehenden ergebnissen gefuhrt, dass die zuverlässigkeit solcher kriterien. mit einigem grunde bezweifelt werden konnte. So verlegt Trautmann, auf metrisch sprachliche kriterien gestützt Kynewulfs dichtungen in die jahre 740-80 (Kynewulf s. 122), Barnouw dagegen auf grund der sogen. Lichtenheldschen kriterien mehr als ein jahrhundert später: 850-880 (Textkrit. untersuchungen, Leiden 1902, s. 235). Es hiesse indessen das kind mit dem bade ausschutten, wollte man wegen solcher widersprechender und offenbar sehr problematischer ergebnisse den versuch aufgeben, zu einer genaueren datierung zu gelangen.

Im folgenden soll die frage von neuem, und wie ich hoffe, etwas weniger einseitig, und etwas vorsichtiger, als es Barnouw getan hat, untersucht werden.

Es wird sich hoffentlich zeigen, dass die Lichtenheldschen kriterien, richtig angewandt, ziemlich zuverlässig sind und zu denselben ergebnissen fuhren, wie die metrisch sprachlichen. hilfsmittel Trautmann's, die allerdings sicherere stützen liefern.

Dass der artikelgebrauch in ags. poetischer sprache allmahlich zugenommen hat, ist unbestreitbar; ebenso, dass es

J. Hoops, Englische Studien. 38. 2.

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allmählich ziemlich unüblich geworden ist, das substantivisch wie das attributiv gebrauchte schwache adjectiv artikellos zu

setzen.

Aber aus den prozentualen verhältnissen des artikelgebrauchs oder des artikellosen schwachen attributiven adjectivs die reihenfolge und abfassungszeit der einzelnen dichtungen mit sicherheit bestimmen zu wollen, ist sehr gewagt. Dabei wird zunächst ausser acht gelassen, dass solche sprachliche eigentümlichkeiten doch auch durch den stil (archaisches heldenepos geistliche dichtung, häufigkeit der epitheta, mehr lyrischer oder epischer ton) und durch den inhalt bedingt, dass sie von der individualität des dichters abhängig sind. Man versuche nur einmal dasselbe kriterium auf althochdeutsche poetische denkmäler anzuwenden, wo doch die verhältnisse ganz ähnlich liegen: es würde eine arge konfusion herauskommen: zb. würde das Muspilli mit stark entwickeltem artikelgebrauch später angesetzt werden, als das Ludwigslied, in welchem der artikel noch nicht sehr üblich ist. Nun sind ja aber die ags. denkmäler durchweg nur in späten, modernisierten abschriften überliefert. Wer steht denn dafür, dass die spätangelsächsischen schreiber gerade in diesem punkte den altertümlichen sprachgebrauch alle gleichmässig gewahrt, dass sie sich niemals haben verleiten lassen, etwa artikel ihrem sprachgebrauch folgend einzusetzen oder ungebräuchliche schwache formen in starke umzuwandeln? Und dann, wer bürgt denn dafür, dass die wandlung des sprachgebrauchs im laufe der jahrhunderte durchaus stetig erfolgte? Endlich hat Barnouw den schweren methodischen fehler begangen, von durchaus unsicher und gewiss oft irrig datierten denkmälern in seiner chronologischen anordnung auszugehen, statt sich auf einigermassen sicher datierbare zu stützen.

Gerade das kriterium, auf welches gewöhnlich am meisten gewicht gelegt wird: der gebrauch des artikellosen schwachen adjektivs ist sehr unzuverlässig, wenigstens bei der gewöhnlichen mechanischen anwendung.

Es wird zunächst von Lichtenheld, Barnouw usw. ausser acht gelassen, dass die anwendung dieser verbindung ein nördlicher (anglischer? northumbrischer?) provinzialismus ist, der nur in folge von stilnachahmung später zum teil auf die südenglische dichtung (zunächst wohl mercische, dann auch west

sächsische) übergreift. Im Northumbrischen waren durch frühzeitige abschwächung der endung -um zu -an, wie durch frühzeitiges verstummen des auslautenden - und durch vernachlassigte aussprache der flexionsvokale die schwachen adjectivformen vielfach undeutlich und mit starken Formen gleichlautend geworden (besonders im instrumental); daher wurden sie gelegentlich 'falsch' angewendet. Das lässt sich sogar noch im 11. jahrhundert beobachten: in Wulfstan's predigten (ed. Napier) sind formen wie to myclan bryce, on yfelan gepance (p. 156) gar nicht ungewöhnlich.

Da nun fast alle unsere handschriften poetischer denkmaler aus spaterer zeit sind und abschwächung alter flexionsformen aufweisen (in der Vercelli-handschrift zb. pan næglan statt pam næglum Elene 1127), so ist im dat. (instr.) plur. und im dat. sing. masc. neutr. bei der endung -an gar nicht zu entscheiden, ob alte (abgeschwächte) starke oder ursprünglich schwache form vorliegt (zb. heardan clommum, of beorhtan stane); vgl. Sievers' Ags. gr., § 293 anm. 2, § 304 anm. 3. Beim adjektiv scheint die endung -um früher abgeschwächt zu sein als beim substantivum, was wohl mit der euphonischen regel zusammenhängt, die sich deutlich beobachten lässt: dass suffixreim unmittelbar aufeinander folgender wörter von guten dichtern möglichst vermieden wird. Es heisst also frühzeitig heardan clommum, statt heardum clommum, entsprechend auch hean hases, cean lifes, ecean dryhtnes, aber nicht eces dryhtnes, dagegen ebenso regelmässig eces deman, nicht *ecean déman. Solche falle, in denen die anwendung der schwachen adjektivform nur scheinbar, durch lautliche abschwächung bedingt, oder in denen sie durch euphonische rücksicht veranlasst ist, müssten also als nichts entscheidend von der betrachtung ausgeschlossen werden.

Sodann können natürlich westsächsische dichtungen, zb. die Metra des Boethius, nicht ohne weiteres mit altnorthumbrischen dichtungen verglichen werden, die in den sogenannten westsachsischen dialekt umgeschrieben sind.

Es ist aber auch von diesem gesichtspunkt aus begreiflich, dass jener provinzialismus sich in mehr volkstümlichen dichtungen, zb. im Beowulf, häufiger findet als in geistlichen gedichten, und dass zb. die Exodus dichtung oder der Andreas, die sich in der darstellungsweise dem volkstümlichen epos be

sonders nähern, auch das artikellose schwache adjektiv begünstigen.

Überhaupt darf man diese artikellosen schwachen formen des attributiven adjektivs doch nicht als untrügliche zeichen hohen alters ansehen. Sie kommen gar nicht so selten noch in texten des zehnten bis elften jahrhunderts vor (besonders nach dem possessivpronomen).

So finde ich zb. in der hs. C (Corpus Christi Coll. Cambridge, No. 322) der von Bischof Wærferth von Worcester übersetzten dialoge Gregor's (herausgeg. v. H. Hecht, Grein-Wülker's Bibliothek der prosa bd. V) folgendes:

S. 5... me is gelicost pam, pe on le fan scipe byd, þat byd geswenced mid pam ypum mycclan sæs.

S. 38 mid swide geswenctan horse.

S. 42 mid grimman sare.

S. 151 his godan mægnes.

S. 156 mid unluste his swidlican geornnesse.
S. 158 his forecwedenan geongran.

Im gedicht von Byrhtnoth's tod (schlacht von Maldon) ist die zahl der artikellosen schwachen attrib. adjektive sogar ebenso gross wie die der mit artikel verbundenen (5 : 5) (somit häufiger als bei Kynewulf!) Wenn also sogar im zehnten bis elften jahrhundert sporadisch solche fälle vorkommen, dürfte aus dem etwas höheren prozentsatz in dichtungen des achten jahrhunderts doch kein sicherer chronologischer schluss zu ziehen sein.

Es liegt auf der hand, dass eine auf unsicheren kriterien und voraussetzungen aufgebaute, so mechanisch und ohne tieferes stilverständnis entwickelte chronologie zu irrigen, ja mitunter absurden ergebnissen führen musste, wie wir es zb. bei Barnouw sehen.

Leider haben die scheinbar ganz methodischen und in der tat mit grosser sorgfalt, wenn auch ganz mechanisch ausgeführten untersuchungen Barnouw's selbst besonnene forscher durch die sicherheit ihrer ergebnisse geblendet und verwirrt, so dass es nötig war auf die unzuverlässigkeit ihrer voraussetzungen hinzuweisen.

Die Lichtenheld'schen kriterien sind nur sehr cum grano salis und mit grosser vorsicht anzuwenden. Die auf diese kriterien gestützte chronologische reihenfolge, die Barnouw auf

gestellt hat, bedarf strengster nachprüfung. Vor allem dürfen. nur gleichartige dichtungen miteinander verglichen werden. Zwischen dem heldenepos und der geistlichen dichtung ist streng zu scheiden. Das heldenepos ist auch in dieser beziehung archaisch was ja noch bei der schlacht von Maldon hervortritt. Je mehr sich die geistliche Dichtung dem archaischen und zugleich malerischen, an beiwörtern reichen stil des heldenepos nähert (zb. Exodus, Andreas), um so spärlicher wird auch der artikelgebrauch, um so häufiger der des artikellosen schwachen adjektivs sein. Aus geringen prozentualen unterschieden ist aber gar nichts zu schliessen.

Wenngleich also die sicheren dichtungen Kynewulf's einen etwas grösseren prozentsatz an artikeln aufweisen und die artikellosen schwachen adjektive etwas seltener anwenden als der Andreas, so sind wir darum durchaus noch nicht berechtigt, sie etwa hundert jahre später anzusetzen. Auch der abstand vom Beowulfliede braucht durchaus nicht so gross zu sein, wie Barnouw will. Die abfassungszeit des Beowulf und des Andreasgedichts ist vorläufig ganz ungewiss.

Kynewulf's sichere dichtungen unterscheiden sich im artikelgebrauch und in der anwendung des schwachen adjektivs nicht wesentlich von dem ersten teil der Guthlac-dichtung (Guthlac der Einsiedler [A]), welchen Barnouw ebenfalls irrtümlich um 8c0 ansetzt, obwohl er aus bekannten inhaltlichen gründen sicher um 750 verfasst ist. Das ist die einzige mit einiger sicherheit zu datierende ältere dichtung. Von ihr ausgehend kämen wir zu dem, allerdings nicht ganz sicheren schluss, dass Kynewulf's dichtungen um dieselbe zeit als der Guthlac [A] anzusetzen sind. Andererseits wird, wie Sievers gezeigt, die datierung durch die in den runenstellen mehrfach bezeugte namensform Cynewulf (statt Cyniwulf), bestimmt und begrenzt, welche vor der mitte des achten jahrhunderts wohl kaum angewendet worden wäre.

Ebenso geht aus den Trautmann'schen kriterien allerdings mit einiger wahrscheinlichkeit hervor, dass die sicheren dichtungen Kynewulfs nicht vor der zweiten hälfte des achten jahr hunderts entstanden sind, da kontrahierte formen statt der ursprunglich zweisilbigen fast ausnahmslos vorherrschen (während noch im ersten teil des Guthlac [-G., der Einsiedler], also um 750 unkontrahierte formen metrisch gesichert sind).

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