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eine heirat zu rehabilitieren sucht und von den schatten ihrer vergangenheit doch immer wieder verfolgt und schliesslich in den tod getrieben wird, erinnert uns oft an die heldinnen der sensationellen Dumas'schen und Sardou'schen stücke, deren geschickte mache auch für die führung der spannenden handlung des englischen dramas vorbildlich war. Eine subtilere charakterstudie in Ibsen'scher art hat uns Pinero in dem wesen der titelheldin von "The Notorious Mrs. Ebbsmith" (1895) geboten, eines schauspiels, dessen einfache handlung ganz von den kämpfen einer frauenseele bestimmt wird. Auch Agnes Ebbsmith ist nach dem urteil der welt eine gefallene, aber während Paula Tanqueray sich in ihrer jugend von dem verlangen nach den guten dingen dieser welt zur sünde verleiten liess, wird sie, die reife, geistig hochstehende frau von einer heissen leidenschaft für einen jüngeren, wertlosen mann ergriffen, in dem sie einen mitstreiter gegen die vorurteile der welt zu finden hofft, während er in ihr nur das weib begehrt. Ihre schmerzliche enttäuschung bei der erkenntnis des wahren wesens des geliebten, ihre angst, ihn zu verlieren, die sie zwingt, ihre geistigen bestrebungen seinem sensualismus zu opfern, zu ihm herabzusteigen diese ihre lebenskraft verzehrenden kämpfe sind in den ersten akten mit grosser feinheit analysiert.

Die kritik des inneren entwicklungsganges des dramatikers füllt den weitaus grössten teil des uns vorliegenden buches, mit biographischen mitteilungen ist Fyfe sehr zurückhaltend, was uns einem lebenden autor gegenüber nicht befremden kann. Die wichtigste biographische neuigkeit war für mich, dass Pinero seine lehrzeit als schauspieler durchgemacht hat, zum teil in der nähe Henry Irving's. Dieser schule verdankt er seine genaue kenntnis des dramaturgischen handwerks, die geschickte Szenenführung die dem schauspieler willkommenen, effektvollen aktschlüsse, die hervorragende bühnenwirksamkeit seiner stücke - vorteile, die allerdings beeinträchtigt wurden durch die allzu grosse rücksicht des ehemaligen schauspielers auf die ansprüche des publikums, das für die rein literarischen qualitäten eines dramas wenig verständnis hat, sondern vor allen dingen unterhaltung oder spannung verlangt.

Fyfe bringt seinem autor eine warme sympathie entgegen, oft betont er, dass er ihm viele genussreiche stunden verdanke, doch macht ihn seine vorliebe nicht blind für die schwächen des dramatikers, für die nur den effekt des augenblicks suchende ober

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flächlichkeit der charakterzeichnung in vielen stücken: The author does not turn the light of his revealing lantern all round [his creations] upon every side of their personality in turn, but only upon the one or two sides that will be useful to him (p. 101) für den mangel wirklicher originalität: In serious matters Mr. Pinero's habit of mind has ever been to follow rather than to lead (p. 23). Es fehlt auch nicht an andeutungen, dass er den wahren ernst des künstlerischen schaffens bei seinem gewandten, der tages mode sich fügenden dramatiker vermisst, aber er ist für ihn doch the leading dramatist of to-day (p. 10), von dem er sich noch treffliche leistungen erhofft. Wir deutsche werden durch Pinero am meisten an Sudermann erinnert, obwohl dieser, bei all seinen bekannten, bis zum übermass betonten fehlern, durch die fülle der behandelten probleme, den reichtum der erfindung und die künstlerische durchbildung seiner stoffe dem Engländer weit überlegen ist.

Über die zukunft des englischen dramas im allgemeinen urteilt Fyfe weniger pessimistisch als zb. der dramatiker Henry Arthur Jones, der in seiner vorrede zu der englischen übersetzung von Augustin Filon's buch über das victorianische drama (London 1897) die aussicht aussprach, dass die kurze zeit des aufblühens des modernen englischen dramas bereits wieder vorbei wäre. Fyfe empfiehlt den englischen dramatikern ein genaues studium des französischen dramas seit ungefähr 1860 und des ernsten deutschen dramas der letzten zehn jahre, um von den ausländern den wert einer wahrheitsgetreuen darstellung der sitten und probleme der gegenwart zu lernen, und schliesst hoffnungsvoll: And if they could at the same time preserve their English sense of humour, they would probably end by writing much better plays than either the Germans or the French (p. 103). Das wäre gewiss, und zwar nicht nur von dem englischen standpunkt aus, a consummation devoutly to be wish'd, aber ich fürchte, dass die festländischen dramatiker dieser wünschenswerten rivalität noch auf viele jahre hinaus nicht ausgesetzt sein werden.

Das grösste hindernis einer gesunden entwicklung des englischen dramas sieht Fyfe gewiss mit recht in dem herrschenden system der Londoner bühnen, ein und dasselbe stück abend für abend aufzuführen und es möglichst lang, für monate oder jahres. frist oder noch länger, auf den brettern zu erhalten. Diese lucrativen und deshalb von den theaterdirektoren begreiflicher weise mit heissem bemühen erstrebten long runs machen es nicht

nur dem aufstrebenden dramatiker sehr schwierig, ihre stücke überhaupt zur aufführung zu bringen, sondern sie hemmen auch die freie entfaltung der von den bühnen acceptierten autoren, weil sie von den mit den kosten einer prachtigen ausstattung belasteten managers fortwährend ermahnt werden, in erster linie den geschmack des publikums zu berücksichtigen. Ein repertory theatre nach kontinentalem muster ist deshalb das ziel der sehnsucht unseres kritikers (vgl. pp. 155, 165). Auch der kunst der englischen schauspieler würde seiner ansicht nach ein solcher systemwechsel sehr zuträglich sein.

Das letzte kapitel des buches enthält eine liste sämtlicher bühnenstücke Pinero's mit angabe der ersten aufführung, der wichtigsten revivals, und der namen aller in ihnen verwendeten schauspieler. Einer charakteristik der hauptvertreter der hauptrollen hat Fyfe schon vorher (p. 214 ff.) einen kurzen, seine eigenen eindrücke bietenden abschnitt gewidmet.

Eigentümlich berührt den deutschen leser, dass Fyfe bei einer sehr flüchtigen erwähnung des deutschen dramas der jüngsten vergangenheit spricht von the German weakness for fun cut in thick slices and for elephantine gambols (p. 119). Wenn ich meine italienischen, französischen, englischen und deutschen theatererinnerungen revidiere, so kann ich mich wirklich auf keine vorstellung besinnen, die ein grösseres anrecht auf das beiwort elephantine gehabt hätte als eine posse und ein melodrama, die ich vor vielen jahren im Strand Theatre und im Adelphi Theatre in London gesehen habe.

Strassburg, im April 1906.

E. Koeppel.

AMERIKANISCHE LITERATURGESCHICHTE.

Henry Bryan Binns, Walt Whitman. Aus dem Englischen übertragen von Johannes Schlaf. H. Hässel's verlag. Leipzig 1907. 450 ss.

Eine übersetzung der Binns'schen biographie Whitman's, die trotz eines gewissen überschwangs als ein werk von hervorragendem werte anzuerkennen ist, war eine notwendigkeit. Hier wird Whitman zum erstenmal dem deutschen publikum im zusammenhang mit der kultur seines volkes dargestellt. Binns gibt nicht bloss eine lebensbeschreibung Whitman's, sondern eine kultur

geschichte der Vereinigten Staaten im lichte ihres eigentümlichsten poeten. Die kenntnis Whitman's und Amerikas wird also durch dieses buch sehr wesentlich gefördert, und die herausgabe ist dem verleger an und für sich hoch anzurechnen. Leider aber ist er an den denkbar schlechtesten übersetzer geraten. Johannes Schlaf ist zwar ein begabter dichter; aber seine kenntnisse der englischen sprache sind gleich null. Es zeugt von einer seltsamen naivetät, so ohne jegliche kompetenz an die lösung einer so wichtigen und so schwierigen aufgabe heranzutreten. Jeder realschüler hätte es besser gemacht.

Einige Beispiele, die so unglaublich als wahr sind:

Binns s. 3: "It counted about 5000 inhabitants, many of them substantial folk, and in this was not far behind Brooklyn". Schlaf s. 14: »Es zählte gegen 5000 einwohner, viel wohlhabende leute; Brooklyn war nicht weit ab«. Binns s. 4: "We read of the settlement of a group of substantial Quaker families near the village of Jericho, where they built themselves a place of worship in 1689". Schlaf s. 16: »Wir lesen von der ansiedlung einer gruppe von quäker-handwerkern in der nähe des dorfes J., wo sie sich 1689 eine werkstätte errichteten«.

Binns s. 6: "Their old house had recently been replaced by another..." Schlaf s. 18: »Das frühere haus wurde später durch ein anderes ersetzt.

Binns s. 7: "She (Wh.'s mother) lacked little, however, of that higher education which comes of life-long true and fine relations with persons and with things". Schlaf s. 19: »Es fehlte ihr jedenfalls in etwas jene höhere bildung, die sich aus den ein ganzes leben hindurch gepflegten festen und feinen beziehungen zu personen und dingen ergibt.

Binns s. 24: "She (State of Carolina) stood out for the rights of a minority so far as to propose secession". Schlaf s. 41: »Sie wiesen die rechte einer minorität ebenso weit von sich ab, wie den vorschlag einer sezession«.

...

Binns s. 26: ". what hitherto had literally been Sovereign States..." Schlaf s. 44: was früher offiziell die Souveränen staaten' genannt

wurde..

So geht es, voll von schnitzern, seite für seite durchs ganze buch. Aus dem schluss noch eine probe zur aufheiterung:

Binns s. 312: "When the Labour agitation,' he would say, 'is other than a kicking of somebody else out to let myself in, I shall warm up to it, maybe."" Schlaf s. 404: Wenn die arbeiteragitation', sagte er wohl, 'etwas anderes wäre als ein mir von irgendwem verabfolgter fusstritt, mit dem sie mich von sich selbst ausschliesst, würde ich mich für sie am ende erwärmen, mag sein.""

Schade um die ausgaben des verlegers und um die mühe des setzers!

München.

O. E. Lessing.

NEUESTE LITERATUR.

H. G. Wells, Kipps. Tauchnitz Edition, vol. 3857/58. Leipzig 1905. Preis M. 3,20.

H. G. Wells, In the Days of the Comet. Desgl. vol. 3927. Leipzig

1906. Preis M. 1,60.

Mrs. Everard Cotes, Set in Authority. Desgl. vol. 3915. Leipzig 1906. Preis M. 1,60.

Anthony Hope, Sophy of Kravonia. Desgl. vol. 3928/29. Leipzig 1906. Preis M. 3,20.

neue

H. G. Wells, der erstaunlich produktive, hat uns wieder zwei romane beschert, zwei neue romane nach altbekannten mustern. In zwei wohl ausgefahrenen geleisen bewegt sich des autors phantasie. In der regel, so auch in In the Days of the Comet, beschenkt er uns mit einem phantastischen, an Jules Verne erinnernden roman, wenn auch beileibe keiner nachahmung des Franzosen. Seit Love and Mr. Lewisham aber bringt er zur abwechslung von zeit zu zeit manchmal recht köstliche proben psychologischer kleinmalerei. Doch auch auf diesem gebiete hat sich die gestaltungskraft des noch im blühendsten mannesalter stehenden erzählers schon recht erschöpft. Leicht erkennt man immer wieder das alte gebäude unter dem neuen bewurf, so auch in dem neuesten roman Kipps. Kehren wir indessen zu dem erstgenannten zurück. In the Days of the Comet, gleich den andern. irrealen romanen des autors, ist ein konglomerat zum teil verworrener utopistischer ideen. Das ganze wird zusammengehalten durch die liebesgeschichte eines jungen arbeiters. Dieser ist im ersten teil des romanes recht glücklich gezeichnet als jugendlicher wirrkopf, dem halbverdaute schlagworte über religion und sozialismus gründlich den kopf verdreht haben. Sehr geschickt ist die steigerung des interesses bis zur katastrophe inszeniert. Des helden geliebte wenn diese knabenhafte schwärmerei für eine ältere cousine liebe genannt werden darf lässt sich von einem jungen lord entführen. Um das paar verfolgen zu können, wird der betrogene zum dieb. Nach langem suchen findet er die flüchtlinge und noch dazu in einer situation, die seine wut aufs äusserste steigern muss; er ist nun reif zum racheakt, er hebt den revolver und eröffnet ein schnellfeuer auf die verräter. Gleichzeitig hat die erbitterung der arbeiter über aussperrungen und lohndrückungen ihren höhepunkt erreicht; allgemeiner streik beginnt; wir stehen

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