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naturwissenschaftliche argumente stützt, ein Don Juan aus dem zeitalter der empiriker. Er sagt:

(Akt 1) Nature gave us senses, which we please,

Nor does our reason war against our senses.
By nature's order, sense shɔu'd guide our reason,
Since to the mind all objects sense conveys.
My appetites are all, I'm sure,

I have from Heaven, since they are natural.

On, on my soul, and make no stop in pleasure.

(Akt IV) There's nothing happens but by natural senses
Which in unusual things fools cannot find,

And then they styl' em miracles. But no accident
Can alter me from what I am by nature.
Were there legions of Ghosts and Devils in my way
One moment in my course of pleasure I'd not stay.

Don John glaubt an sich, und seine unwiderstehliche genusssucht hat einen anstrich von genialer grösse. Seine ausschweifung geht in's ungeheure, in's monumentale. Er hat gleichzeitig sechs frauen und zwei geliebte und hat einige dreissig morde begangen. Er kann in der tat als ein typus der ausschweifung, als eine verkörperung des sinnlichen genusses gelten, während Da Ponte's Don Giovanni jeder grösse entbehrt und selbst Tirso de Molina's urbild aller Don Juans deren nicht genug aufweist. In der tat ist Byron der erste dichter, der der Don Juan-sage als moderner gegenüber tritt und sich ihrer gewaltigen tiefe bewusst wird. Er fasst ihren grossen symbolismus, der sie als gegenstück neben die faustsage stellt. Hier der mensch, der das sein mit seinem geiste durchdringen und umspannen will, der nach erkenntnis um jeden preis durstet. Dort der mensch, der die mannigfaltigkeit des lebens durchdringen und in sich aufnehmen will, der nach genuss lechzt um jeden preis.

Byron hat sich gleichzeitig beider Mythen - der beiden grossten, die die volksphantasie hervorgebracht bemächtigt; wahrend er am Don Juan dichtete, entstand auch der Cain. Lucifer ist der personifizierte trieb nach erkenntnis, der den menschen durch die wahrheit versucht, sein damon, der ihn zum höchsten heil und zum verderben führen kann; dem einen bringt erkenntnis sünde und tod, dem anderen erschliesst sie die ewigkeit. Genau besehen, ist dieser Lucifer ein verkunder gottlicher wahrheiten und das viel verlasterte gedicht ein lied der unsterblichkeit.

Kolossal wie das selbstgefühl und die energie des erkennenden muss nun auch die lebenskraft, die daseinsfreude des geniessenden sein. Dort die grosse verneinung des irdischen: leiden, entsagung, verachtung des lebens führt zur erhebung über das leben. Hier die unbedingte lebensbejahung, das lachen, das die hölle bezwingt, die tanzende leichtigkeit, die wunder der kraft vollbringt. Nichts kann dem grundgedanken der mythe krasser widersprechen als ein Don Juan, der sich umbringt (Heyse) oder ein Don Juan, der, weil er ein phantasiegebilde nicht findet, der welt überdrüssig wird (Lenau). Mit dem leben und der welt gibt Don Juan alle seine möglichkeiten auf; es ist, als verzichtete Faust auf seine erkenntnis, ein gläubiger auf seinen gott.

Hier wie dort ist der egoismus eine haupttriebfeder, wie ja im grunde jedes durchsetzen und ausleben der eigenen individualität egoismus ist. Dort, im Cain, geht der flug durch den weltraum, das ziel ist selbsterkenntnis; hier, im Don Juan, gilt es eine umschau in allen ländern dieser erde, in allen sphären des lebens, und der zweck ist, die wonne des daseins ganz auszukosten.

Die weite dieser umschau ist es, die Byron's Don Juan vor allen früheren voraus hat. Die dichter hatten den kreis des genusses bisher sehr eng gezogen: weiber und tafelfreuden, darin sollte die ungeheure lebenslust sich erschöpfen, die immer gleichbedeutend mit gemeinster sinnenlust war. Nun kommt Byron und zeigt, dass die liebe nur eine der unzähligen formen des genusses sei. Sein Don Juan geht durch die verschiedensten phasen zärtlichen empfindens hindurch, sie alle aber bilden nur episoden der bahn, die er als ein triumphator des genusses zurücklegt. Und er erlebt noch unendlich mehr. Als ein schon dem tode verfallener lernt er nach dem schiffbruch den genuss des wiedererwachens zum licht, zum leben, zur liebe kennen; als ein gefangener den genuss der freiheit; als ein kind des volkes den genuss einer machtstellung am hofe der kaiserin und schliesslich den genuss jener unabhängigkeit, die Byron selbst gekostet, und die ihm als höchste erscheinen mochte: das leben eines englischen edelmanns, von einer unwiderstehlicher persönlichkeit, von ruhm, talent, ansehen verklärt und auf die höhen des daseins gehoben. Aus dem gemeinen wüstling der sage, der in brutaler weise von den rohesten trieben beherrscht wurde, ist der feine genussmensch geworden, der zur hälfte Byrons eigene natur ausmachte, während

die andre hälfte dem grübler Cain gehörte. Diese zwei seelen in seiner brust sind es, die die gewaltige originalität seiner persönlichkeit, die konflikte seines lebens und seine werke erklären.

Wer weiss, durch was für situationen Byron seinen Don Juan in bunter abwechslung noch hindurchgeführt hätte, bräche das gedicht nicht mit dem englischen aufenthalt ab. Schriebe er ihn heute, so liesse er ihn vielleicht im automobil die länder durchfliegen, schwelgend in jenem freisein von der abhängigkeit von raum, zeit und menschen, das die modernste form des genusses ist.

Während Byron seinen stoff nun in solcher weise vertieft, ereignet sich das sonderbare, dass er ihn zugleich in völliger willkür beiseite schiebt. Nur der begriff des genussmenschen und der name, an den dieser begriff sich knüpft, wird aus der sage herausgehoben, die überlieferten situationen und nebenfiguren selbst die des begleitenden dieners. sind übergangen, und das ganze ist in die gegenwart gerückt, fast mit einem anklange an Frere, der seine Arthusritter in der modernisierten gestalt vorgeführt hatte, die sie unter der feder seiner sattler Whistlecraft annahmen. Aber auch abgesehen von dieser eigenmächtigen behandlung des stoffes fordert Byron's verhalten gegenüber dem inhalt der dichtung den vergleich mit Frere heraus. Je weiter das gedicht fortschreitet, desto mehr steigert sich die hintansetzung des tatsächlichen durch das rein subjektive. Don Juan verschwindet unserem blick oft auf weite strecken, die die persönlichkeit des dichters allein ausfüllt, wie si parva licet componere magnis die Monks and Giants vor ihrem autor in den hintergrund treten. auch der unterschied zwischen Frere's digressionen ein notbehelf bei dem versiegen der erzählung zu sein scheinen — und Byron's ironischen, satirischen, gefühls- und gedankenreichen ergüssen ist, die form bleibt doch hier wie dort dieselbe, und die form ist in diesem gedichte zu wesentlich, als dass sie nicht auch hinsichtlich des verhältnisses zu seinen vorläufern den ausschlag geben sollte. Die hauptbedeutung der Monks and Giants für die englische literatur wird man also doch wohl darin finden müssen, dass sie den Beppo und den Don Juan angeregt haben.

Wien, 1. April 1906.

Wie gross die oft nur

Helene Richter.

J. Hoops, Englische Studien. 38. 1.

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A. Knobbe, Die Faust-idee in Lord Byron's dichtungen. Wiss. beilage zum jahresbericht des realgymnasiums zu Stralsund. Ostern 1906. 19 ss. Gr. 8°.

Goethe selbst hat Byron's Manfred mit seinem Faust verglichen im eingang seiner besprechung des englischen dramas, die in der zeitschrift »Kunst und altertum« erschien. Andere sind ihm gefolgt, und in biographien wie in literaturgeschichten findet man nicht selten die beziehungen von Byron's muse zu ihrem deutschen Apollo gestreift. Gleichwohl vermisst man eine darstellung der zusammenhänge von des Lord's poetischem schaffen mit den grundideen unserer grössten dichtung. Auch A. Brandl's aufsatz »Goethe's verhältnis zu Byron geht, neben den aktenmässigen belegen, von dichterischen zeugnissen für den anteil des Engländers in der hauptsache nur auf Manfred ein. Vor der feststellung dessen, was Byron von verwandten ideen und stimmungen dem Faust entgegen brachte und was er ihm unmittelbar verdankte, gibt Knobbe (s. 3 ff.) einen kurzen überblick der lebensbeziehungen beider dichter sowie eine betrachtung über den anteil, den Byron an der deutschen literatur im allgemeinen nahm.

Dass Byron die Faust-dichtung gerade zu einer zeit nahe gebracht wurde, in der häusliches unglück und die gewaltige alpennatur seine seele in aufruhr versetzten, wurde für ihn entscheidend. Shelley hatte ihm, der sein Griechisch fast ebenso wie sein Deutsch vergessen hatte, Aschylos' Gefesselten Prometheus mündlich übersetzt und ihn damit auf den deutschen Titanen absichtslos vorbereitet. Im August 1819 erhielt Byron in der villa Diodati bei Genf den besuch von Matthew Gregory Lewis, der Goethe persönlich kannte und eine damals seltene kenntnis der deutschen sprache und literatur besass, welch' letzterer er manche entlehnung verdankte. Er gab seinem landsmann mündliche stegreifübersetzungen von teilen des Faust, die starken eindruck auf ihn machten. Doch blieb dies nicht seine einzige quelle, sagt er doch bei Medwin: Alles, was ich von diesem drama kenne, ist aus einer französischen übersetzung, aus einer oder zwei gelegentlichen vorlesungen geschöpft, die Monk Lewis in der villa Diodati hielt, indem er einzelne teile ins Englische übersetzte, und aus der Brockenszene, die Shelley darauf in verse brachte. (Übers. v. d. Linden 103.) Letzterer, den Byron, wie er sagte, um nichts so sehr beneidete als um die fertigkeit, dies erstaunliche werk im original lesen zu können (ib.), liess seine übertragungen des Prologs im himmel die Byron bekannt war, obwohl er sie an der erwähnten stelle nicht nennt und der Walpurgisnacht 1822 erscheinen. Mit der französischen übersetzung ist nach Brandl's vermutung frau von Staël's wiedergabe gemeint (Goethe's verhältnis zu Byron a. a. o. 30), die allerdings den für Byron besonders in betracht kommenden eingangsmonolog Faust's nur kurz analysierte und hauptsächlich von der Gretchen-tragödie, die für den Lord weniger interesse hatte, übersetzungsproben bot.

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Trotz der äusseren hindernisse, die es dem englischen dichter erschwerten, sich in den Faust zu versenken, hat er dennoch auf seine kunst nachhaltig gewirkt. Unter dem neugewonnenen eindruck wagte sich der epiker zum ersten male an einen dramatischen vorwurf, zumal die lose form seines vorbildes, worin auf die anforderungen der bühne wenig rücksicht genommen zu sein schien, seinem widerwillen gegen alles, was theater hies, entgegenkam. Das interesse an Goethes tragödie hat den Lord, trotz der unterbrechung ihres

einflusses durch die romanisierenden Venetianerstücke im stile Alfieri's und Seneca's, begleitet bis über das letzte seiner dramen hinaus, das bruchstück The Deformed transformed, das den namen des Faust offen an der stirn trägt. Die parallele zwischen dem Manfred, diesem dramatischen gedicht, wie es Byron nennt, und dem deutschen Faust Goethes ist oft gezogen worden1); wenn es hier von neuem geschieht, so leitet den verfasser dabei die absicht, auf einzelne bisher wenig beachtete punkte hinzuweisen oder hier und da eine von den vor ihm ausgesprochenen ansichten abweichende meinung zu vertreten. Goethe selbst hat der albernen behauptung widersprochen, dass Manfred eine nachbetung seines Faust sei. Er hat im gespräche mit dem kanzler von Müller gerade mit bezug auf Byron einmal gesagt: Nun aber wird jede geniale kunstschöpfung auch ein teil der natur, und mithin kann der spätere dichter sie so gut benutzen wie jede andere naturerscheinung. Will man beide dich tungen szene für szene vergleichen, so kommt in der hauptsache nur der erste akt des Manfred in betracht, dessen ähnlichkeit mit dem deutschen drama auch der Engländer nicht zu bestreiten wagte. In der ersten fassung der

Abt-szene fanden sich noch mehr anklänge an Goethe's Faust, die in der jetzigen gestalt fehlen:

The raven sits

On the raven-stone,

And his black wing flits

O'er the milk-white bone;

To and fro, as the night-winds blow,
The carcass of the assassin swings;
And there alone, on the raven-stone,
The raven flaps his durky wings.

The fetters creak and his ebon beak

Croaks to the close of the hollow sound;

And this is the tune, by the light of the moon,

To which the witches dance their round

Merrily, merrily, cheerily, cheerily,

Merrily, speeds the ball:

The dead in their shrouds, and the demons in clouds

Flock to the witches' carnival.

Diese verse erinnern einmal an das augenblicksbild Nacht, offen feld:
Faust: Was weben die dort um den rabenstein?

Mephistopheles: Weiss nicht, was sie kochen und schaffen.

1) Ich erinnere ausser Goethe und Carlyle an B. Posgaru (Manfred, einleitung, übersetzung und anmerkungen, Breslau 1839); H. Th. Rötscher (Manfred, jahresber. gymn., Bromberg 1844); George Sand (Das phantastische drama, übers. im Magazin des auslands, nr. 12, 13, 17, 18, 20); R. v. Gottschall (Byron und die gegenwart. In: Unsere zeit, 1866, II. jahrg., 2. hälfte, 481-511); H. S. Anton (Byron's Manfred, Erfurt 1875); G. Allais (Le pessimisme des romantiques. In: Revue des cours et conférences, 5o année, 2 série, nr 31, 663 ff.); A. Brand! (Goethe-jahrb. XX); ferner die literaturgeschichten von H. Taine, G. Brandes Hauptstromungen) und K. Bleibtreu.

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