ich zuvor und deshalb bin ich eben so guter Laune. Doch hier ist die Friedrichsstrasse! Jetzt geht Ihr Weg rechts, der meine links. Nun gute Nacht, junger Amando!" Dabei schüttelte er ihm die Hand und ging die Friedrichsstrasse nach dem Hallischen Thor zu hinunter, indem er „Bei Männern welche Liebe fühlen" trillerte. Julius, etwas verwundert über dies plötzliche Abbrechen, sah dem kleinen Manne noch eine Zeitlang nach, wie er sich auf der mondhellen Bahn des Pflasters als schwarzer Strich fort bewegte, der endlich zum Punkt einschrumpfte, und zuletzt im silbernen, neblichen Duft des Mondlichtes verschwand, das die lange, endlose Strasse sich im unbestimmten Dämmerschein verlieren liess. In Gedanken versunken, hätte Julius vielleicht noch lange so gestanden, wenn nicht entfernte Töne des Gesanges einer weiblichen Stimme seine Aufmerksamkeit erregt hätten. In der Stille der duftenden Maiennacht drangen sie wehmüthig zauberisch zu ihm herüber. Sie lockten, wie das Lied der Sirene; er ging näher und näher und endlich stand er dem Hause des Kapellmeisters gegenüber. Die Töne kamen, er konnte nicht länger zweifeln, aus den Fenstern seiner Wohnung, doch bemerkte er kein Licht in den Zimmern. In der ganzen Reihe derselben standen die Fensterflügel offen, daher verlor er auch nicht den kleinsten Ton, obwohl er nicht deutlich unterscheiden konnte, in welchem Zimmer sich die Sängerin befand.,,Sie ist es," dachte er, sie ist es selbst, die Schöne, mit dem dunkeln seelenvollen Auge;" und um mit ungestörter Andacht zu lauschen, lehnte er sich an den Stamm einer Linde, die ihn mit ihren düstern Zweigen dunkel beschattete, ohne dass er die vom Monde beleuchteten Fenster aus dem Auge verlieren durfte. Es schien ein deutsches Lied zu seyn, was die späte Sängerin in die tiefe stille Mitternacht hinaus sang. Die Melodie wiegte sich in sanfter Bewegung, und deutete auf ein seltsames Gemisch von Beklemmung und Ruhe, von Wonne und Schmerz. Worte konnte der entzückte Julius zwar nur selten verstehn, doch wurde ihm, während des halbverstandenen Liedes, so seltsam zu Sinn, dass er zweifelhaft wurde, ob es der Frühling mit seinem duftigen Nachthauch, ob es die Musik, oder das Gefühl der aufkeimenden Liebe, oder endlich ob alles zusammen es sei, was ihn in diese wunderbare Stimmung bringe. Ein leiser Seufzer hob seine Brust; galt er aber der Lust, oder dem Schmerz, der hoffenden oder der beklagenden Sehnsucht, das konnte sein seltsam bewegtes Herz nicht entscheiden. Er empfand jenes Entzücken, welches uns im Frühling, über eine schöne That, vor einem Kunstwerk, oder einer sonnenhellen paradiesischen Landschaft greift, von dem wir aber nicht wissen, ob es mehr dem Schmerz, oder der Wonne angehört. Das Lied wiederholte sich, vermuthlich weil es mehre Strophen hatte. andere Wendungen, die eine tiefere Innigkeit, ein seiner selbst mehr bewusst werdendes Gefühl anzudeuten schienen, das sich früher nur ahnend ausgesprochen hatte. Ein seltsam schmerzlicher Ausdruck ruhte auf zwei Worten, die vermuthlich den Schluss jeder Strophe bildeten und schon früher hervorgehoben waren, wo Julius dabei etwa ein unbestimmtes ,, Dahin! " ,, Zu Dir!" empfand. Jetzt wurden diese Worte mehre Male wiederholt, und der tief bewegte Zuhörer strengte sich aufs äusserste an, sie zu verstehn. Er blieb mehre Male zweifelhaft, end. lich aber, beim Schlusse, glaubte er, ganz deutlich gehört zu haben „Nur Du !" Dies klang ihm wie eine Stimme des Schicksals. Er lauschte mit beklommner Brust; doch der Gesang schwieg. Heiss drangen ihm die Thränen unaufhaltsam ins Auge; er bedeckte es mit der Hand, indem er die Stirn gegen den Baum neigte. Plötzlich hörte er von einer Stimme, die leise in die stille Nacht hinaus zu flüstern schien, ganz deutlich die Worte: „Nur Du!" halb gesungen, halb gesprochen. Der Laut kam von dem Fenster; er blickte hinauf und sah, im unbestimmten Schimmer des Mondlichts, hinter einigen Blumenstöcken, eine weisse Gestalt, die eben das Fenster zu verlassen schien. Gleich darauf sah er sie am nächsten offenen Flügel vorüber schweben, und so fort, so dass er deutlich wahrnahm, wie sie durch die Reihe der Zimmer schritt, bis sie in dem letzten, ihm zur Rechten verschwand. Er hoffte, dass sie zurückkehren, vielleicht noch einmal ihre seelenvolle, tief ergreifende Stimme hören lassen werde und blieb deshalb unverwandten Blickes vor dem Hause stehn. Doch vergeblich! Alles blieb todt und stumm, und kein süss wehmüthiger Laut durchdrang mehr die geheimnisvolle Stille der schönen Nacht. Fünftes Kapitel. Die frühsten Strahlen der Morgensonne weckten unsern Freund aus einem unruhigen Halbschlummer, Die deutliche Wirklichkeit des Tages arbeitete mit aller Macht daran, die seltsamen Gebilde der phantastischen Nacht aus seinem Herzen zu verdrängen. Doch vergeblich. Mitten unter dem unruhigen Treiben der geschäftigen Tageswelt, mitten im chaotischen Gemisch und Gewirr der tausendfachen Gegenstände, welche die Helle der Sonne vor uns entwickelt, sah er stets die Gestalt seiner nächtlichen Sängerin, in fesselnder Einfachheit, stehn und sich bewegen, und sie zog seine Gedanken und Blicke so mächtig an, dass die bunte Welt umher ihm verschwand, wie des Brockens wirbelnde Zauberwelt vor Fausts Auge verschwindet, sobald er Gretchens Gestalt erblickt. Julius lehnte sich ins Fenster, aus dem er, bei seiner im vierten Stockwerk eines Hauses gelegenen Wohnung, einen schräg gegenüberliegenden Garten zum Theil übersehen konnte, wenn er die Blicke über die lebhafte Friedrichsstrasse zu seinen Füssen hinweg schweifen lassen wollte. Obwohl schon Fussgänger und Wagen sich in derselben bewegten, so herrschte doch noch eine gewisse Morgenruhe, indem die meisten Läden noch geschlossen, die Vorhänge herabgelassen waren. Nur hier und da öffnete sich ein Fenster, aus dem ein Kopf hervorguckte, um nach der Sonne zu sehn. Julius betrachtete dies eine Zeitlang sinnend; plötzlich aber fiel ihm ein: „Wie, wenn auch Sie jetzt sich erhöbe und sich, mit einem morgenfrischen Antlitz und von dem Schlaf der Sommernacht wärmer glühenden Wangen, ins Fenster legte?" In zwei Minuten war er vor der Thür, und ging eilends nach den Linden zu. Die Fenster in der Wohnung des Kapellmeisters waren noch offen wie gestern, aber Alles im Hause noch so still und früh wie in der ganzen Gegend. Julius ging einigemal unter den Bäumen auf und nieder, ohne ein Auge von dem Hause zu verwenden. Noch immer erschien nichts. Endlich sah er ein weisses Gewand hinter den Blumen schimmern; entzückt ging er rasch näher, um dem Fenster gegenüber zu treten. Noch verbargen die breiten Hortensien ihm das liebe Antlitz, doch das helle Morgenkleid sah er deutlich schimmern. Jetzt erhebt sich die Gestalt, sie wendet sich, sieht aus dem Fenster es war der Kapellmeister, in weisser Nachtmütze und Morgenschlafrock, der, mit einer langen Pfeife im Munde, sich hinaus lehnts, um das Wetter in Augenschein zu nehmen. |