"Für alle die im Herzen Barfuß sind" - Die Rolle des Lesers in der Lyrik Reiner Kunzes

Voorkant
GRIN Verlag, 2007 - 92 pagina's
Magisterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: sehr gut (1,0), Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Philosophische Fakultät II), 69 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: 1. EinleitungAnlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1977 äußert Heinrich Böll in seiner Laudatio des Preisträgers Reiner Kunze: "[...] sicher möchten auch Sie gewissen und bestimmten Leuten das Lesen beibringen."1 Wie kommt der Schriftstellerkollege Kunzes zu dieser Aussage? Diese Vermutung, die Böll über die dichterische Motivation Reiner Kunzes anstellt, hat im metaphorischen Sinne durchaus ihre Berechtigung. "Leuten das Lesen bei[zu]bringen"2 muss in einem in BRD und DDR geteilten Deutschland der siebziger Jahre eine andere Alphabetisierung, als die im herkömmlichen Sinne meinen. Vielmehr geht es um ein ,richtiges Lesen', das als hermeneutischer Prozess einem ,Lesen' gegenübersteht, das nicht wirklich versteht und das nicht oder falsch entschlüsselt. Böll spricht Reiner Kunze das Anliegen zu, Verstehensprozesse im Leser auslösen zu wollen.Auch Heiner Feldkamp unterstellt wie Böll dem Werk Reiner Kunzes eine paradigmatische Orientierung auf ein Gegenüber, indem er in seiner Arbeit zum Gesamtwerk Kunzes dessen "Poesie als Dialog"3 bestimmt und dies als Grundzug vor allem des lyrischen Schaffens Kunzes herausstellt. "Das gedicht als stabilisator, als orientierungspunkt eines ichs"4 ist für den Autor, wie Feldkamp richtig herausstellt, zunächst "Selbstvergewisserung im Monolog"5 und doch damit auch "Selbstgespräch für andere".6 Im Gespräch mit Bernd Kolf führt Reiner Kunze dazu aus: "Indem Gedichte aber Versuche sind, Wirklichkeit zu bewältigen und Haltungen zu gewinnen, besteht die Möglichkeit, daß sie auch jenen, die sie nachvollziehen, helfen, zu sich selbst zu finden und sich im Leben zu orientieren."7Diese mögliche Selbstfindung oder -erkenntnis und die genannte Lebensorientierung im Nachvollzug des Gedichts, die für den Leser in der Rezeption Kunzescher Gedichte möglich sein soll, lässt die Frage nach deren Genese aufkommen. Auf welche Weise kommt es zu Prozessen im Bewusstsein des Lesers, die die Ausbildung einer Haltung der Bewältigung und Orientierung ermöglichen? Diese Frage ist nicht zu beantworten, ohne eine ihr übergeordnete Frage zu stellen: [...]
 

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Pagina 56 - Zimmerlautstärke hat er ein Wort von Seneca vorangestellt: ». . . bleibe auf deinem Posten und hilf durch deinen Zuruf; und wenn man dir die Kehle zudrückt, bleibe auf deinem Posten und hilf durch dein Schweigen.
Pagina 30 - DAS ENDE DER KUNST Du darfst nicht, sagte die eule zum auerhahn, du darfst nicht die sonne besingen Die sonne ist nicht wichtig Der auerhahn nahm die sonne aus seinem gedicht Du bist ein künstler, sagte die eule zum auerhahn Und es war schön finster...
Pagina 61 - Man hat Durst nicht nach Ehre, aber nach Menschen, aber nach Menschen, die nicht im persönlichen Leben mit uns verstrickt sind. Man hebt das Schweigen, das öffentliche, auf (oft, wie gesagt, über alle Scham hinaus) im Bedürfnis nach Kommunikation. Man gibt sich preis, um einen Anfang zu machen. Man bekennt: Hier steh ich und weiß nicht weiter.
Pagina 19 - So schütz auch an der beide, da unser zweier bette was, da mugent ir vinden schone beide gebrochen bluomen unde gras. vor dem walde in einem tal, tandaradei, schone sanc diu nahtegal. Ich kam gegangen zuo der ouwe: do was min friedel komen e. da wart ich enpfangen, here frouwe, daz ich bin saelic iemer me.
Pagina 21 - Mein vater, sagt ihr, mein vater im schacht habe risse im rücken, narben, grindige spuren niedergegangenen gesteins, ich aber, ich sänge die liebe Ich sage: eben, deshalb...
Pagina 58 - ... sie ab, die tore standen angelweit, verwunderung bis an die schwellen In der finsternis, die sie vor sich herschoben, verirrten sie sich Sie richteten sich ein auf den brücken Und statt der achsen hörte man im schlaf die menschen stöhnen Nun ist es schwer den weg zu euch zu finden ANGELN AN DER GRENZE...
Pagina 29 - Der Soldat braucht einen Helm. / Wozu braucht ihn der Soldat? / Der Helm schützt seinen Kopf, / und der Kopf ersinnt die Tat, / die den Kindern der Welt / alle Blumen erhält / und das Glück, und das Glück / unsrer Republik.
Pagina 8 - Vorlesungen über literarische Genres hielt, die in der Publizistik von Bedeutung sind, also über das Feuilleton in all seinen Spielarten, über die Kurzgeschichte usw., in diesen fünfziger Jahren begann für mich die große politische Desillusionierung, das furchtbare Erkennen, hintergangen und betrogen worden zu sein, der Zusammenbruch des inneren Wertsystems, dem als Ergebnis einer jahrelangen politischen Treibjagd ein physischer Zusammenbruch folgte.
Pagina 47 - Verknüpfungen ans Bewußtsein weiterleitet, so ist das ein Zeichen dafür, daß es einen spezifischen Bereich gibt, dessen sich der Mensch nur durch die Poesie optimal vergewissern kann: nämlich bestimmte Momente seiner jeweiligen konkreten inneren Situation (und damit indirekt bestimmte Momente der jeweiligen konkreten äußeren, also auch gesellschaftlichen Situation in ihren Auswirkungen auf den inneren Zustand des Menschen). Eine Denkweise, eine spezifische Art, sich die Welt anzueignen, ist...
Pagina 8 - Aussage zur Person. Zwölf deutsche Schriftsteller im Gespräch mit Ekkehart Rudolph. Tübingen, Basel: Erdmann 1977, S. 178 - 191 329 »Hält das Wort stand, angesichts dieses Trümmerhaufens?

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