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Inhalt.

CVIII. Band, der neuen Serie VIII. Band,

3. u. 4. Heft.

Schlufs der Redaktion 16. Juni 1902.

(Jährlich erscheinen zwei Bände. Vier Hefte bilden einen Band. - Preis pro Band 8 Mk.)

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Die Märchen des Musäus, vornehmlich nach Stoffen und Motiven. Von Erich
Bleich. II. (Fortsetzung) ..

273

Die Quelle des mittelenglischen Gedichtes 'Lob der Frauen'. Von F. Holthausen.

288

Quellenuntersuchungen zu Dichtungen Barry Cornwalls (Bryan Waller Procters).
Von Hermann Jantzen

302

Matteo Bandello nach seinen Widmungen. Von H. Meyer. I.

324

Kleine Mitteilungen.

Streoneshealh. (F. Liebermann)

Zum Beowulf. (Fr. Klaeber).

Nordhumbrische Laute um 710. (F. Liebermann)

Die Schicksale der Apostel doch ein unabhängiges Gedicht. (A. J. Barnouw) 371 Aethelwolds Anhang zur Benediktinerregel. (F. Liebermann)

Zu Scotts Korrespondenz. (Max Förster)

Eine Quelle für Waces Roman de Rou. (F. Liebermann)

375

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377

380

368

368

370

Li houneurs et li vertus des dames par Jehan Petit d'Arras. (Nach einer altfranzösischen Handschrift herausgegeben.) (Rudolf Zimmermann) 380

Beurteilungen und kurze Anzeigen.

W. Basil Worsfold, On the exercise of judgment in literature. (W. Borsdorf) 389 Adolf Harnack, Geschichte der Kgl. Preufsischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. (Richard M. Meyer).

391

Friedrich Panzer, Hilde - Gudrun. Eine sagen- und litterargeschichtliche
Untersuchung. (Rudolf Much)

395

Henry Osborn Taylor, The classical heritage of the Middle Ages. (Richard
M. Meyer).

416

Egon v. Komorzynski, Emanuel Schikaneder. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Theaters. (Oskar F. Walzel)

417

Neue Litteratur zur deutschen Volkskunde. (Robert Petsch)

420

(Fortsetzung des Inhalts auf der 3. Seite des Umschlags.)

Die Märchen des Musäus,

vornehmlich nach Stoffen und Motiven.

II.
(Fortsetzung.)

Die Nymphe des Brunnens' ist ein reines Ragout von Märchenbestandteilen und für die Erkenntnis des Zusammenarbeitens verschiedenartiger Züge und Überlieferungen von grofser Bedeutung. Man kann methodologisch daran lernen.

Der Raubritter und Schnapphahn Wackermann Uhlfinger hat mit seiner lieb- und tugendreichen, sanften Gemahlin zwei Töchter. Die Geburt eines dritten Mädchens wird der bekümmerten Gattin des Wegelagerers von der Nymphe des Schlofsbrunnens verkündigt, womit sich ein Hinweis auf den baldigen Tod der Schlofsherrin und die Versicherung des Schutzes für das dann verwaiste Kind verbindet.

Die Fee erscheint bei der Taufe als Gevatterin, weidlich angestaunt und nach ihrem Verschwinden wegen des geringfügigen Patengeschenkes, eines Bisamapfels, verlacht. Doch wagt niemand ihr nachzufragen, und Wackermann selbst ist durch eine List seiner Frau daran verhindert. Diese stirbt; und der sehr betrübte Gatte findet sehr bald Ersatz in dem Besitze einer jüngeren Genossin, welche ihn durch Kinder reich und durch mafslose Verschwendung arm macht. Die beiden älteren Töchter der ersten Ehe werden ins Jungfrauenstift gebracht, und man hört nichts mehr von ihnen; die jüngste, Mathilde, wächst abseits vom Lärm und den tosenden Lustbarkeiten des Schlosses im stillen heran. Die Stiefmutter macht nach und nach alle Kostbarkeiten ihrer Vorgängerin zu Gelde und entledigt sich dabei des unscheinbaren, aber in der Ahnung seiner Zauberkraft wohl

Archiv f. n. Sprachen. CVIII.

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aufbewahrten Bisamapfels, welcher, zum Fenster hinausgeworfen, der spielenden Mathilde in die Hände, dann, zur Belustigung dienend, bei einem Fehlwurfe in den Schlofsbrunnen fällt und dem weinenden Kinde die Erscheinung der Nixe und deren Belehrungen über die Fähigkeiten des Apfels verschafft.

Indessen nimmt das Leben auf dem Schlosse seinen jubelnden Fortgang. Je mehr die Schlofsfrau verbraucht, um so mehr mufs der gefällige Gatte rauben, bis die Nymphe durch ihr Erscheinen Übles verkündet, was dann in Gestalt der Mannschaften des schwäbischen Bundes wirklich eintrifft. Das Schlofs wird erstürmt und eingeäschert; nur Mathilde entkommt aus Not und Tod unter dem Schutze des Apfels.

Entstellten Angesichts, in schlechter Kleidung und mit verstelltem Körpergebrechen lässt sie sich von der keifenden Wirtschafterin eines Komturs als Dienstmagd anwerben. Den jungen, blühenden, schönen, ritterlichen Herrn sehen und lieben ist eins; und als die Reichsstadt (Augsburg) glänzende Feste giebt, da widersteht Mathilde dem heilsen Wunsche nicht. Sie verlangt es, und dem Apfel entquillt das prächtigste Seidenkleid, womit angethan sie aller Augen auf sich zieht und des Komturs Herz gewinnt. In weiblicher, gern übertrumpfender Eitelkeit fordert sie für den zweiten Ballabend ein zweites, schöneres Gewand, auf diese Weise leichtsinnig den zweiten Wunsch aussprechend, aber auch den bezauberten Komtur zum Geständnis seiner Liebe zwingend: sein Ring giebt ihr die Gewissheit seiner aufrichtigen Gesinnung. Allein am nächsten Tage wartet der Komtur vergeblich auf das fest zugesagte Erscheinen der schönen Unbekannten, welche sich allen Nachforschungen durch die unsichtbar machende Wirkung des Bisamapfels entzogen hatte. Das Ausbleiben der Braut wirft ihn in ein hitziges Fieber; die Ärzte erklären ihre Kunst und Mühen für verloren. Jetzt erbietet sich Mathilde gegenüber der Wirtschafterin, den kranken Herrn durch eine heilkräftige Suppe zu retten. Die Heilkraft liegt jedoch in nichts anderem als in dem Ringe, der sich auf dem Grunde des Tellers befindet und, von dem Kranken herausgefischt, neue Hoffnungen erweckt. Mathilde wird zur Sonderaudienz beschieden, um den Ring befragt und wegen ihrer Gestalt geschmäht, worauf sie darüber klagt, dafs die Männerwelt lediglich am

Äufseren hange und nicht auf das Herz sehe, dann aber ihre Ballgestalt annimmt und vom Komtur als Ehegemahl angenommen wird.

Die beiden ersten Söhne verschwinden, kaum geboren, auf rätselvolle Weise; und der trauernde Gatte lässt sich durch den Wiederholungsfall bestimmen, an eine kindesmörderische Schandthat der eigenen Frau zu glauben. Er hält sie für eine Zauberin, welche durch das Blut und Leben der eigenen Kinder Treue und Neigung des Gemahls unverändert erhalten will. Er giebt Befehl, die geliebte Ruchlose durch ein überhitztes Bad zu töten. Allein in der höchsten Not erfüllt der Bisamapfel den dritten, noch rückständigen Wunsch: angenehme Kühle verbreitet sich; die Nixe erscheint und übergiebt der entzückten Mutter die totgeglaubten Knaben. Die Erklärungen, welche die Nixe damit verbindet, teilt Mathilde dem reumütigen Grafen mit. Es hatte die Mutter des Grafen, erzürnt über die Eheschliefsung ihres Sohnes, die Kinder durch eine angestiftete Amme stehlen und in den Brunnen werfen lassen, um die Schwiegertochter so in den Verdacht der Zauberei zu bringen. Gott sei Dank war aber der Brunnen kein anderer gewesen als der Schlofsbrunnen, der Wohnsitz der gutthätigen Nymphe. Diese hatte die nach Art junger Hunde ertränkten Grafenkinder in Pflege genommen, so dafs die Geschichte mit Belohnung der Guten und Bestrafung der Bösen endigen kann.

Wer irgendwie in die Märchenforschung fördernd eingreifen will, mag sie nun die volks- oder kunstmässigen Erzeugnisse betreffen, der darf sich mit der Kenntnis des gewöhnlichen Märchenrepertoires der heutigen Kinderstube nicht begnügen. Sonst wird er in den Fall kommen, mit wenigen augenfälligen Typen wirtschaftend, alles Aufstofsende auf solche Kinderstubenerinnerungen zurückzuführen und allerhöchstens die Abweichungen im dritten Bande von Grimms Kinder- und Hausmärchen nachzulesen, anstatt sich an die reiche Sammlung selbst zu halten und hier von den geläufigsten Typen zu andersgearteten und andersgestalteten Stoffen und Formen, zu selteneren Spielarten und Abänderungen der Typen fortzugehen, welche als selbständige Märchen aufzufassen sind. Wenn er insbesondere Musäus behandelt, so wird ihn das häufige Auftreten der Feen fast von

selbst auf das im vorigen Jahrhundert in Frankreich gepflegte und von Wieland wie von Musäus gekannte Genre der Feenmärchen führen; und schon die Lektüre der zehn oder elf Märchen des Perrault wird ihm manches abwerfen. Grimm in der Hand wird er 'Die Nymphe des Brunnens' viel mehr in den Märchen Allerleirauh und Marienkind, ja selbst im Dornröschen vorgebildet finden als in dem allerdings vielleicht näher liegenden Aschenputtel. Perrault zu Rate ziehend, wird er weniger Ausbeute in dessen Cendrillon (Aschenputtel) als in seiner Peau-d'Ane (Eselshaut Allerleirauh) und in seiner La belle au bois dormant (Dornröschen) finden.

=

Die Haupterzählung setzt mit der Flucht Mathildens ein. Bis dahin sind keine Berührungen mit den volksmässigen Überlieferungen des Allerleirauh - Stoffes zu beobachten. Während Allerleirauh vor den Gelüsten ihres Vaters weiter und weiter in die äusserste Wildnis entflieht, flüchtet Mathilde nach dem Tode ihres Vaters aus Not und Verderben.

Dann beginnt die Übereinstimmung zunächst mit Allerleirauh (und Peau-d'Ane). Doch hat Musäus nur zwei Ballabende angesetzt; ebenso wie er nur einmal Suppe kochen läfst. Diese Veränderungen würden sich zureichend durch die weitgehende Modernisierung des Stoffes und durch die reflektierende Haltung des Musäus erklären, der dem Volksmärchen eine dreimalige Wiederholung nicht einfach nachmacht und auch die Suppe nicht deshalb gut schmecken läfst, weil das geliebte Wesen sie, wenn auch ohne Wissen des Essenden, angerichtet hat. Musäus findet für den zweiten Abend eine Steigerung in der Liebeserklärung des Komturs, worauf nichts übrigbleibt, als am nächsten Tage die öffentliche Verlobung vorzunehmen. Freilich ist auch ein gewisser Zwang dabei; denn Musäus wüfste nicht, wo er ein drittes, noch prächtigeres Gewand hernehmen sollte, ohne den dritten der Wünsche in nutzloser Verschwendung verpuffen zu lassen. Andererseits hat das Volksmärchen ein gewisses Recht, drei Ballabende, wenn auch schliesslich zu eigener Langeweile, anzusetzen, da Allerleirauh ja im Besitze drei sehr schöner Kleider ist, welche notwendig hervorgeholt und angezogen werden müssen, damit die prunkvolle Garderobe doch nicht ganz vergeblich da sei und unbenutzt im Spinde hängen bleibe wie in

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