Pagina-afbeeldingen
PDF
ePub

Romantik, Neuromantik, Frauenfrage.

Neuromantik, ein vielumstrittener Begriff! Die einen leugnen sie völlig; sie sehen nur vereinzelte romantische Züge in der Gegenwart, die sie eines gemeinsamen Namens und der Würde einer historischen Erscheinung nicht für wert halten. Andere widmen diesen Zügen ein warmes Interesse, suchen sie bis ins Letzte zu begreifen und abzuschätzen, verwerfen aber entweder einen Zusammenhang zwischen Gegenwart und Vergangenheit oder verketzern, was sie an der Romantik von 1900 preisen, sobald das selbe ihnen die Jahreszahl 1800 weist. Wieder andere kämpfen hartnäckig gegen die alte und gegen die neue Schule und beweisen durch ihre Erbitterung am besten, wie eng sie den Zusammenhang der beiden Kulturmomente empfinden, und wie lebendig heute noch die Nachwirkungen der alten Romantik sind. Endlich ist eine letzte Gruppe bemüht, die Übereinstimmungen aufzudecken, das Verwandte herauszufühlen und den historischen Vorgang zu ergründen, durch den veranlafst am Ende des Jahrhunderts die Tendenzen seines Anfangs sich er

neuern.

Die Zahl dieser unvoreingenommenen Beobachter nimmt mehr und mehr zu. Wer Jahr für Jahr zu buchen hat, was zur Geschichte der Romantik auf deutschem Boden und anderwärts beigetragen wird, kann der Beobachtung sich nicht entziehen, dafs objektive Vergleiche von Einst und Jetzt auf diesem Felde mählich Mode werden. Kaum einer, der heute von deutscher Romantik spricht, läfst sich den Parallelismus entgehen. Ich darf wohl darauf hinweisen, dafs ich schon vor vielen Jahren

die Verwandtschaft älterer deutscher und neuerer französischer Romantik (damals hiefs sie Symbolismus) betont und in den 'Jahresberichten für neuere deutsche Litteraturgeschichte' von 1891 und 1892 Stimmen verzeichnet habe, die gleiches verkündeten. Ahnungen des Zusammenhanges hatte Theodore de Wyzewa bereits 1886 geäufsert; Brunetière, Thorel und viele andere folgten; Maeterlincks Übertragung von Novalis erhärtete 1895 die Vermutung. In Deutschland spürten Kritiker von der Art Felix Poppenbergs den Übereinstimmungen nach. Er und seine Genossen blieben nicht stehen, als auch in Deutschland den Naturalismus eine entgegengesetzte Richtung ablöste. Alfred Kerr, wie Poppenberg von Erich Schmidt auf romantischem Gebiete wissenschaftlich geschult, verkündete 1898 in der Vorrede seiner trefflichen Arbeit über Brentanos Roman 'Godwi': 'Künstler am Ausgang des Jahrhunderts schaffen mit verwandten Mitteln wie an seinem Beginn die Romantiker ... Spät erklingt, was früh erklang Noch ein Thor mufs erkennen, wie eng Beginn und Ausgang des Jahrhunderts im Grunde beieinander stehen.' Im gleichen Jahre 1898 begannen selbst die 'Preufsischen Jahrbücher', sonst der Tummelplatz eines der einseitigsten und engherzigsten Gegner alter und neuer Romantik, vorsichtig und behutsam, aber doch hoffnungsvoll die Frage der wiedererstehenden Romantik zu erörtern. Neuerdings begegnen auf Schritt und Tritt Vergleichungen. Im Jahre 1900 haben etwa Harry Maync in der 'Vossischen Zeitung (Sonntagsbeilage Nr. 9), dann August Herzog und A. Dresdner in der Nation' (28. April; 22. Dezember) das Thema mehr oder minder glücklich bearbeitet. Gedacht sei hier auch der im gleichen Jahre veröffentlichten Sammlung Friedr. von Oppeln-Bronikowskis und des allzu früh verstorbenen Ludwig Jacobowski 'Die blaue Blume. Eine Anthologie romantischer Lyrik' (Leipzig, Diederichs), die von Klopstock bis zur Gegenwart romantische Lyrica deutscher Dichter nachweisen will.

...

Niemand hat das Lied vom neuerstandenen romantischen Geiste heller und siegesstolzer erklingen lassen als die Dichterin Ricarda Huch. Ihre 'Blütezeit der Romantik' ist freilich nicht eine mühsame Vergleichung von Einst und Jetzt. Von der neuen

1

Leipzig, Verlag von H. Haessel, 1899. IV, 400 S.

Kunst und von der neuen Dichtung hören wir wenig. Wagner und Böcklin und Jacobsen sind gelegentlich genannt, die Münchener Jugend' wird einmal mit dem 'Athenäum' der Brüder Schlegel verglichen. Wohl sähe mancher gerne Hofmannsthal und Stefan George einbezogen. Einer ihrer Kritiker sagt: 'Es ist eigentlich wunderbar, dafs Ricarda Huch dieser edlen Enkel edler Ahnen so gar nicht gedenkt'. War es nötig? Nein! Und hätte es ihren Zwecken gedient? Nochmals nein! Sich selbst stellt sie, die neuromantische Künstlerin, der alten Romantik gegenüber. Und wie das ganze Buch mit ihrem Herzblut geschrieben ist, wie da auf jeder Seite kräftig das Bewusstsein geistiger Kongenialität pulsiert, so enthüllt sie dem staunenden Auge des Beobachters, wie ganz romantisch eine Frau von 1900 denkt, die vom Scheitel bis zur Sohle von modernem künstlerischem Fühlen durchdrungen ist. Sich selbst wirft Ricarda Huch in die Schanze, die alte Romantik zu retten. Hätte sie besser gethan, Hofmannsthal und Stefan George vorzuschieben? Wer weifs, ob sie dann nicht ihre besten Absichten zerstört hätte? Ist die Romantik gerettet, wenn ihre Verwandtschaft mit Hofmannsthal oder Stefan George nachgewiesen ist? Ich fürchte das Gegenteil. Das hiefse heute noch bei vielen den Teufel mit Beelzebub austreiben. Die mutige Kämpferin ist mit ihren eigenen Waffen in den Kampf gezogen.

Und es ist ein Kampf. Oder sind das nicht Kampfrufe? 'Das 19. Jahrhundert hat sich im Laufe seines Wachstums von denen, die seine Geburtshelfer und Taufpaten waren, undankbar und verkennend abgewandt' (S. 63). 'Die dunkeln Vorstellungen, die die meisten Menschen von der romantischen Poesie haben, als stehe sie in einem unversöhnlichen Gegensatze zu der sogenannten klassischen, als sei sie die überschwengliche, phantastische, verworrene, sind weit ab von der grofsartigen Idee, die den romantischen Ästhetikern vorschwebte: jedes unpoetische Element soll aus der Dichtung ausgeschieden werden, alles aber, was der Sinn aufnehmen, der Geist erkennen, das Gemüt ahnen kann, soll die allumfassende in sich begreifen' (S. 53). 'Der Adler-Optimismus mit der Devise "Ascendam" macht die Romantik so ewig jung und herrlich. Sie zweifelten nicht, dafs sie, wenn auch hundertmal geblendet und gelähmt, einmal das Ant

litz der Sonne berühren würden' (S. 112). Endlich am Schlusse des letzten Tod' überschriebenen Kapitels: 'Ja, sie verschwanden spurlos, die stürmenden Eroberer, wie die glänzenden Gothen, die so herrlich und zuversichtlich begonnen hatten, wie die blonden Vandalen, die ihre heimische Kraft rasch unter glühender Sonne verschwelgten. In dem Kriege der Menschheit mit dem Schicksal hatte für diesmal das Schicksal gesiegt. Was darüber Tröstliches und Erhebendes gedacht werden kann, liegt alles in diesen Worten von Novalis: "Fortschreitende, immer mehr sich vergröfsernde Evolutionen sind der Stoff der Geschichte. Was jetzt nicht die Vollendung erreicht, wird sie bei einem künftigen Versuch erreichen oder bei einem abermaligen; vergänglich ist nichts, was die Geschichte einmal ergriff, aus unzähligen Verwandlungen geht es in immer reicherer Gestalt erneut wieder hervor"?

Novalis' Worte könnten als Motto dem Buche voranstehen; und nicht nur dem Buche, sondern der gesamten Neuromantik. Einer Neuromantik freilich, die sich nicht blofs auf den Ästheticismus der Hofmannsthal und Stefan George beschränkt, die vielmehr alles zusammenfafst, was immer im heutigen Geistesleben romantisch ist. Als Herold einer solchen, im höchsten und weitesten Sinne gedachten Neuromantik lehrt Ricarda Huch, dass wir heute mitten in einer fortschreitenden, sich vergröfsernden Evolution der alten Romantik stehen. Was damals die Vollendung nicht erreicht hat, sucht heute in reiferer Gestalt sich zu erneuen.

Nicht in die Form einer Flugschrift hat R. Huch den Nachweis dieser Übereinstimmung von Einst und Jetzt gebannt. Vielmehr durchleuchtet der führende Gedanke eine ernst gedachte, auf eindringlichen Studien ruhende Darstellung der älteren Romantik. Freilich schreibt sie von dem genialen Kreise der Schlegel, Tieck, Novalis als eine kongeniale Interpretin. In diese schwer verständlichen, schwer fafsbaren Charaktere hat sie sich so tief eingelebt, dafs sie ihnen auf ihren verschlungensten Pfaden nachfolgt. Ihre rückhaltlose Hingabe hat man Kritiklosigkeit gescholten; man hätte gewünscht, da und dort ein schärferes, ablehnendes Wort zu vernehmen. Ich kann es ihr nicht zum Vorwurf machen, dafs sie ohne kleinliches Zagen die schönste Aufgabe des Historikers erfüllt hat; nämlich die, das innerste Wesen längst Entschwundener zu verstehen und zu deuten.

Eher wäre ein anderer Einwurf berechtigt. Nicht nur menschlich fühlt sich Ricarda Huch in das Wesen der älteren Romantiker ein; auch als Schriftstellerin ist sie diesmal fast ohne Rest in ihnen aufgegangen. Ihr Buch liest sich gelegentlich nicht wie eine zeitgenössische Arbeit; es trägt in Form und Ideenentwickelung den Charakter der frühromantischen Geistesprodukte. Insbesondere ist es auf einer Idee aufgebaut, die mir ein würdiges Pendant der kühnsten Ahnungen jener Epoche scheint. Soviel ich sehe, ist diese Idee und die Art, in der R. Huch sie zum Angelpunkt des Ganzen macht, noch von keinem ihrer immerhin zahlreichen Kritiker näher erwogen worden. So ist es wohl, obgleich seit der Veröffentlichung des Buches mehr als ein Jahr verflossen ist, noch immer an der Zeit, ein Wort über die ideelle Grundlage dieser jüngsten Geschichte der älteren Romantik zu sagen. Kann doch nur auf diesem Wege ein endgültiges, begründetes Urteil über ein sicher vielgelesenes und deshalb weithin wirksames Buch gewonnen werden.

[blocks in formation]

Den Eingang schmücken prächtige Miniaturbilder der beiden Schlegel und Carolinens. Keine wesentlich neuen Züge, aber wunderhübsch gefundene Worte leihen ihnen ihren Reiz. Ganz im Sinne der neueren wissenschaftlichen Betrachtung sieht auch Ricarda Huch in dem jüngeren Bruder den echteren Propheten, den wahren Pfadfinder, den Romantischeren. Wilhelm 'war kein Magier'. Es war nichts, gar nichts Dämonisches in ihm'. Ihm mangeln die feineren, aber wenig ausgiebigen Waffen seiner Genossen; und in diesem Mangel lag seine Stärke: 'Er zerfaserte nicht das Innere, wie es damals die Darstellungsweise der modernen Schriftsteller wurde, denen es dabei nur selten gelang, eine ganze Erscheinung lebendig vor die Augen zu stellen ... Das Kränkliche, Unbestimmte, ins Grenzenlose Ausschweifende der übrigen Romantiker lag nicht in seinem Wesen. Alles, was er schrieb, wenn es auch tiefer und bedeutender hätte sein können, war doch ein Ganzes, abgerundet, hatte Form.' Ihm steht Friedrich gegenüber als ein Mensch von imponierender, aber nur schwer beweglicher Masse, der erfüllt war von Gedanken und

Archiv f. n. Sprachen. CVII.

17

« VorigeDoorgaan »