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Durst nach vollkommener Freiheit auf allen Gebieten, in diesem Freudentaumel der Seele wurde nicht viel zwischen Weltlichem und Geistlichem unterschieden, die gärenden Begriffe mischten sich in mannigfachen neuen, zum Teil abscheulichen, rohen und geschmacklosen Verbindungen. Man staunt, wenn man in den Liederheften des 16. Jahrhunderts streng kirchliche Lieder mit den schamlosesten, unzüchtigsten Gassenhauern unbefangen vereint findet, wenn in den geistlichen Gesangbüchern Sauf- und Sau-Lieder zur Bezeichnung der Weise herangezogen werden. Die Vermischung des Heiligen mit dem Weltlichen, des Hohen mit dem Niedrigen war allgemein. Im Grunde war man längst an viel schlimmere Dinge gewöhnt. Längst hatte man keine Scheu mehr, mit dem Heiligen leichtfertigen Spott zu treiben und schlechte Scherze darüber zu machen, längst verstand man es meisterhaft, fromme Lieder und Sprüche, altehrwürdige Gebetsformeln in schmutzigem, meist geschlechtlichem Sinne zu verändern; aber in vollem und offenem Strome konnten diese trüben Gewässer sich immer erst ergiefsen, seit vermöge der Buchdruckerkunst alles Volk zur Anteilnahme auf geistigem Gebiete herangezogen ward. Was die Verquickung weltlicher und geistlicher Lieder angeht, so trugen die gerade von frommen Männern gepflegten, wohlgemeinten Bestrebungen, welche darauf abzielten, aus dem Volksgesang die Gassenhauer und Zotenlieder durch Umdichtung derselben in geistlichem Sinne zu verdrängen, viel dazu bei, das Unterscheidungsvermögen in den breitesten Schichten zu schwächen. Hier wie bei wichtigeren Anliegen drehte sich alles im wildesten Strudel durcheinander, in den erst mächtige Ströme Blutes einfliessen mussten, ehe wieder eine regelmässige Strömung eintreten konnte.

Was nun den Schuster, Dichter und Wiedertäufer Grünwald betrifft, so bleibt immerhin genug an ihm persönlich haften, um darzuthun, dass er nicht gerade zu den ganz Harmlosen gehörte, dafs er nicht, wie sein grofser Handwerksgenosse Hans Sachs, bescheidentlich seinem Schöpfer dafür dankte, dafs er 'so miltiglich die Gottesgab' des Dichtens ihm als einem ungelehrten Mann, der weder Latein noch Griechisch kann', herabsandte; ihm war der Geist nicht, wie dem berühmten Hans Sachs, ein wohlgemäfsigtes Herdfeuer, das sein Leben mit behaglicher Wärme

durchströmte, in ihm loderte mehr jene flackernde Glut, die den Menschen mit dämonischer Gewalt ins Verderben zieht. Die wenigen auf uns gekommenen Bruchstücke seiner dichterischen Thätigkeit beweisen, dass er für das volkstümliche Lied vorzüglich begabt war, in dieser einen Beziehung weit über Hans Sachs zu stellen. Unter den Wiedertäufern nimmt er insofern eine merkwürdige Stellung ein, als diese sich im ganzen sehr ablehnend gegen Kunst und Wissenschaft verhielten und nur für geistliche Dichtung etwas Raum liefsen, während er sich in weltlicher Dichtung, allerdings mit frommem Beiwerk nach Möglichkeit ausgestattet, versuchte. Im übrigen mag er wohl mit seinen Gesinnungsverwandten Fehler und Vorzüge geteilt, vermöge seiner geistigen Gaben wohl auch in deren Kreise sich bemerkbar gemacht und etwas gegolten haben. Wenn er sich berufen fühlte, die Welt zu verbessern, aus dem engen Wirkungskreis seines Handwerks hinaus in die Ferne zu schweifen, den kleinen Mann gegen weltliche und geistliche Satzung, gegen Staat und Obrigkeit aufzureizen, wenn er demgemäfs unter den zahlreichen anderen Wiedertäufern, die sich damals nach Österreich und zumal nach Tirol zogen, mit aufgegriffen und verbrannt wurde, so kann sein Schicksal wie das der anderen nicht ohne weiteres als unverdient bezeichnet werden. Denn aus den Reihen der Wiedertäufer gingen, vielleicht weniger in bewusster Absicht als weil bei Leuten, die nicht von Anbeginn zu geistiger Arbeit geschult sind, der Mafsstab für die Tragweite ihrer Ideen fehlt, die gefährlichsten Volksaufwiegler hervor; den wiedertäuferischen Sendboten muss ein grofser Teil der Schuld an den blutigen Aufständen und sonstigen furchtbaren Greueln, von denen Deutschland lange Zeit durchtobt und zerfleischt wurde, zugemessen werden. Die Angehörigen dieser den Protestanten wie den Katholiken gleichermafsen unbequemen Glaubensgemeinschaft wurden deshalb mit ganz besonderer Grausamkeit verfolgt und rücksichtslos ausgerottet. Huber in seiner Geschichte Österreichs, Bd. 4 S. 98, sagt: 'Noch im Jahre 1528 wurden nach den Geschichtsbüchern der Wiedertäufer in Kitzbühel 68, in Schwaz 21, in Salzburg 38, in Niederösterreich 17, in Bruck an der Mur 12, 1529 in Linz bei 70, 1530 in Kufstein 17 dem Tode überliefert.' Unter diesen 17 zu Kufstein im Jahre 1530 Hingerichteten be

fand sich also Grünwald. Wenn oben im Beginn die Notiz der Wiedertäuferchronik aus der Hamburger Handschrift nach Wackernagel geboten wurde, so liefern die nach zahlreichen Handschriften mit gröfster Umsicht im ganzen und peinlichster Sorgfalt im einzelnen von J. Beck herausgegebenen 'Geschichts - Bücher der Wiedertäufer in Österreich-Ungarn' (Fontes rerum Austriac. II 43, 1883), in dieser Beziehung Quellenwerk auch für Huber, einige scheinbar unwesentliche Zusätze, die nunmehr, nachdem eine Vorstellung von dem Wesen Grünwalds gewonnen ist, sich als recht bedeutsam erweisen. Beck giebt (S. 104) die betreffende Stelle folgendermalsen wieder:

'Anno 1530 ist der Brueder Grüenwald, ein Schuster, ein in Gott gar eifriger Brueder und Diener des Herrn Jesu Christi, zu Kopfstain am Inn umb der göttlichen warhait willen gefangen und zum Tod verurtailt und verbrennt worden, ganz beständig in Gott und in glauben, hat also, was er mit seinem mundt erkennt und gelert, auch ritterlich mit seinem Bluet bezeugt.

Nach etlich Tagen ist abermals ein Brueder daselbs zu Kopfstain umb der göttlichen warhait willen gericht worden. Mer an disem ort 15 christliche person gericht.

Defs hat man vom Peter Veit ein Zeugnufs genumen, der den dieselben Brüeder gekennt hat, und ist dabei gewesen, wie der Grünwaldt ein Brueder ist worden, und da man im das Predigamt aufgeladen und bevolhen hat.

Dieser Grünwaldt hat das alt Lied, so vast in allen landten bekannt ist, "Kompt her zu mir, spricht Gottes Sohn" neu gesungen und gedichtet.'

Wenn unter den siebzehn zum Tode Beförderten Grünwald allein mit Namen genannt wird, so mufs er innerhalb der Gemeinde mehr als gewöhnliche Bedeutung gehabt und nicht zur unterschiedslosen Masse gehört haben. Ihm hatte man das Predigtamt befohlen, er mufs also nicht nur dichterische, sondern auch rednerische Begabung gezeigt haben. Sein Gedächtnis wurde jedenfalls von den Wiedertäufern als das eines treuen und standhaften Blutzeugen, in Handwerkerkreisen und beim kleinen Mann als das eines begabten Volksgenossen, den man stolz als seinesgleichen in Anspruch nehmen durfte, in Ehren gehalten. Besonders die Schusterzunft, welche sich rühmen darf,

in ihrem Schofse mehrfach Vertreter von geistiger Bedeutung hervorgebracht zu haben, hat das Andenken Grünwalds gepflegt, wie durch die Beispiele von Hans Sachs und Hager deutlich erwiesen ist.

So mag man denn je nachdem Grünwalds Wirken doppelseitig verwenden, entweder zur Bestätigung der merkwürdigen Thatsache, dafs von jeher unter den deutschen Schustern Leute vorhanden waren, die sich zu Leistungen über den Leisten ihres Handwerks hinaus wohl berufen fühlen durften, oder im Sinne der altbewährten Lebensregel, gegen die nur selten jemand ungestraft verstofsen hat: 'Schuster bleib bei deinem Leisten'.

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Die beiden oben erwähnten Einzeldrucke des vielgerühmten Mailiedes mit Grünwalds Namen sind:

(Nürnberg, Germ. National-Mus. L 1728) Zwey Schöne ! newe Lieder, Das erst: | mir liebt im grünen Mayen, etc. Hat sei-ne eygne Melodey. Das ander, Vil | vntrew ist auff Erden, im Thon | Wie möcht ich frölich | werden. | (Bildchen.) Am Schlufs: Gedruckt zu Nürnberg, durch Valentin Newber. | (4 Bl. 8o o. J. Rücks. des letzten Bl. leer) Mir liebt ... 14 sechszeilige Strophen, untz. 'G. Grünewalt'.

(Zürich, Stadtbibl. Sammelb. Gal. KK 1552 St. 48) Drey schöne ne- we Lieder, Das erste, Mir | liebt in grünen Meyen, etc. Das an-der, Er ist der Morgensterne, er leucht | mit hellem schein, etc. | Das dritt, Wie schön blüht vns | der Meye, der Sommer fehrt dahin, etc. | (4 Bl. 8o o. O. u. J. Rücks. des letzten Bl. leer) 'Mir liebt' 14 Strophen, untz. 'G. Grünew.' Vgl. dazu Böhme, Altd. Lb. Nr. 143.

Berlin-Wilmersdorf.

Arthur Kopp.

Weltlitteratur und Litteraturvergleichung.

Über Weltlitteratur, internationale Litteraturströmungen und vergleichende Litteraturgeschichte sind in neuerer Zeit eine Anzahl von Aufsätzen und Schriften erschienen, die von einer erfreulichen Bewegung in unserer Wissenschaft Zeugnis ablegen. Dabei sind jedoch die Begriffe, um die es sich handelt, häufig in einem Sinne angewandt worden, dafs eine erneute Besprechung des Gegenstandes angemessen erscheint. Ernst Martin hat, an Goethes Begriff der Weltlitteratur anschliefsend, die internationalen Beziehungen von dessen Dichtung in grofsen Zügen ansprechend geschildert ("Goethe über Weltlitteratur und Dialektpoesie', in den 'Strafsburger Goethe-Vorträgen', S. 1-29, Strafsburg 1899); Georg Brandes hat im 1. Heft des 2. Jahrganges des 'Litterarischen Echos' (1. Oktober 1899) den Begriff 'Weltlitteratur' erörtert und den Wert internationaler litterarischer Anerkennung treffend eingeschränkt; eine bibliographische Übersicht über die litterarischen Beziehungen der Kulturländer hat uns Louis P. Betz in seiner inhaltreichen Schrift La littérature comparée' gegeben, welcher eine verständige Einleitung von Joseph Texte, dem frühverstorbenen Professor der 'vergleichenden Litteraturgeschichte' an der Universität Lyon, beigegeben ist (Strafsburg 1900); Richard M. Meyer hat in seinem Aufsatze Die Weltlitteratur und die Gegenwart' (in der 'Deutschen Rundschau', 26. Jahrg., 11. Heft, August 1900) festzustellen versucht, welche Werke aus dem gesamten Schatz aller Litteraturen in der Gegenwart noch lebendig seien; gegen ihn richtet sich der Aufsatz von Louis P. Betz: 'Weltlitteratur, Goethe und Richard M. Meyer' (in der Beilage

Archiv f. n. Sprachen. CVII.

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