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ernst und schweigend auszusehen; und wenn meine Frau, schön wie der Mond, mit ihrem Schmuck vor mir steht. werde ich sie gar nicht mit Erstaunen und Bewunderung ansehen, bis alle Anwesenden sagen: O unser Herr! wende dich doch deiner Frau und Sklavin zu, die vor dir steht, und schenke ihr doch einen gnädigen Blick: es schadet ihr, wenn sie so lange steht. Wenn sie dann noch dazu die Erde einige Male vor mir küssen, so richte ich den Kopf ein wenig auf und werfe nur einen einzigen Blick auf meine Frau, beuge aber den Kopf sogleich wieder; während nun die Leute mit der Braut ins Schlafzimmer gehen, wechsele ich auch meine Kleider, und ziehe noch schönere an; und wenn die Frau im zweiten Anzuge kommt, sehe ich sie wieder nicht eher an, bis man mich einige Male darum gebeten hat; da werfe ich einen flüchtigen Blick auf sie, sehe dann wieder zur Erde, und so immer fort, bis ihr ganzer Putz vorüber ist. Geht man nun mit ihr ins Schlafgemach, so sehe ich sie an, lege mich neben sie, spreche aber aus Geringschätzung gegen sie kein Wort mit ihr, bis man mich für einen stolzen Mann erklärt.

In dieser Weise phantasiert er fort, bis er sich ausmalt, er sitze auf seinem Sopha aus cirkassischen Stoffen angelehnt und seine Frau kredenze ihm einen Becher mit Wein, den er aber geringschätzig von sich stoße, wobei er mit den Füßen stampfe. Hierbei kommt er mit dem Fuße an den Korb, so daß derselbe fällt und alles Glaswerk zerbricht.

Gewiß wird nicht geleugnet werden können, daß der Gedankengang in den beiden Selbstgesprächen viel Aehnlichkeit hat. Für eine vollkommene Uebereinstimmung will ich selbst nicht streiten, da ja auch die Situation des Malvolio von der des Arabers verschieden ist. Auch enthalte ich mich aller Schlußfolgerungen auf Benutzung der Tausend und Einer Nacht durch Shakespeare.

IX. Geschichte des Theaters in Biberach
von 1686 bis auf die Gegenwart.

Von Dr. L. F. Ofterdinger.

Jahrbuch XVII gedachte schon (S. 83) des Theaters der freien Reichsstadt Biberach, welches im vorigen Jahrhundert Shakespeare zuerst auf die deutschen Bretter brachte. Jetzt ist dessen Geschichte im Druck erschienen.1) Passionsspiele machten auch dort den Anfang; aus ihnen entwickeln sich Schülerschauspiele (1655); dann begründen ehrsame Bürger beider Konfessionen durch Statut eine feste Schauspielgesellschaft (1686); eine Trennung findet statt (1725) und es entstehen: „die evangelische" und "die katholische bürgerliche KomödiantenGesellschaft", welche sich indeß gegenseits unterstützen. An die Spitze der ersteren tritt (1729) Magister Jeremias Adam, Schulrektor und Prediger, der durch sein persönliches Bühnenwirken kein Bedenken erregt und in .,Karl XII. von Schweden" den türkischen Großvezir agirt. Gott Vater, Christus, Engel, Teufel erscheinen neben heidnischen Göttern und allegorischen Gestalten. Eine beliebte Figur muß „der stinkende Taback“ gewesen sein: er steht als Spieler verzeichnet in der ,,Siegenden Christenlieb" (1736) und nochmals, zwölf Jahre später, im,,Erzzauberer Doctor Johann Faustus." Gespielt wurde nicht das ganze Jahre hindurch, sondern in der Regel auf Lichtmeß, Fastnacht, Weihnacht, mit öftern Wiederholungen, desgleichen zur Verherrlichung der Ehrentage hervorragender Bürger. Im September 1761 wird aufgeführt:,,Der Sturm, oder: der erstaunliche Schiffbruch, von Shakespeare", durch Wieland für das Biberacher Theater übersetzt und bearbeitet. Als Antonio that sich hervor der Schuhmacher J. Werner, welcher auf seinen Wanderungen verschiedene Theater besucht hatte; König Alonso war der Schuhmacher J. Rudhard; ihn wählte Wieland, ,,weil er für die Rolle einen ungelenkigen Menschen haben wollte, der das Zwerchfell des Publikums auf's Angenehmste erschüttere, was ihm durch sein Talent, sehr hörbar und pathetisch zu gähnen, vollkommen gelang." Den Ferdinand

1) Württembergische Vierteljahrshefte 1883, Heft I-III, Stuttgart.

gab der Büchsenmacher Johann Daniel Dettenrieder (demnächst bekannt als Theaterdirektor Karl Friedrich Abt, 1733-1783). Die Iris spielte Elisabeth Felicitas Knecht (später berühmt als Abt's Gattin, namentlich in der Rolle des Hamlet, 1741–1783). Der Beifall des ausverkauften Hauses begleitete den ,,Sturm"; die Einnahme (60 fl. 20 kr.) betrug fast doppelt so viel als gewöhnlich. Dieser Erfolg gab Wieland Veranlassung, mit der Uebersetzung des Shakespeare fortzufahren. Im Ganzen brachte das Biberacher Theater etwa 40 Shakespeare-Aufführungen. Zu bedauern ist, daß über die Form der Bearbeitung jede Mittheilung fehlt; vermuthlich sind die Regiebücher nicht mehr vorhanden. G. V.

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X. Zu Hamlet V, 2.

Im fünften Bande des Jahrbuchs hat Freiherr v. Friesen aus alten Fechtbüchern nachgewiesen, daß die Zusammenstellung ‘rapier and daggers' auf eine alte, außer Gebrauch gekommene Form des Fechtens Bezug nimmt, dergemäß der Dolch in der linken Hand nicht zum Angriff, sondern zur Abwehr der Stöße des Gegners bestimmt war. Es ist wohl nicht ohne Interesse zu erfahren, daß diese Fechtweise auch im vorigen Jahrhundert noch bekannt war. Dafür zum Beweise mag folgende Stelle aus Wilhelm Heinse's Ardinghello (1787) dienen (Laube's Ausgabe von Heinse's sämmtlichen Schriften I, 133):,,Endlich drangen wir in ihre größte Galeere, und ich war unter den ersten, mit einem starken Dolch in der Linken, in der Rechten den Degen, und im Gurt noch eine geladene Pistole. Bevor ich übersprang, stieß ich einen ihrer Kecksten nieder, der schon im Begriff war, dem Doria mit seinem sichelförmigen Damascenersäbel den Unterleib durchzuschneiden, und rettete diesem so das Leben. Mit einem andern auf der feindlichen Barke, der auf mich einhieb, wurde ich hernach bald fertig; doch konnte ich mit dem Dolch seinen Streich aus beiden Fäusten nicht so ganz abhalten, daß er mir nicht ein wenig im Herunterschellern den linken Arm streifte; ich traf ihm darüber gerade die Kehle, daß er die Zunge herausstreckte." Daß hier der Dolch von Anfang an zur Schutzwaffe bestimmt ist, ja geradezu den Schild vertreten sollte, ist außer Zweifel. Es bliebe nur die Frage übrig, ob Heinse diese Fechtart in Italien noch in Gebrauch sah, oder für seinen im 16. Jahrhundert spielenden Roman sie aus älteren Fechtbüchern oder anderen Quellen kennen lernte. Marburg i. H.

Max Koch.

XI. Salvini als Shakespeare-Erklärer.

Im Sonntagsblatte der römischen Zeitung Il Fanfulla, welches unter dem Titel Fanfulla della Domenica erscheint, hat Tommaso Salvini, neben Rossi der größeste romanische Shakespeare-Darsteller, eine Reihe von Skizzen geschrieben, in welchen er seine Auffassung der von ihm dargestellten Charaktere niederlegte. Er behandelt darin Hamlet, Macbeth, Othello und Lear. Die drei ersten Abschnitte sind bereits vor einiger Zeit im 2. Bande des von Lewinsky herausgegebenen Buches, Vor den Coulissen, übersetzt veröffentlicht; den letzten, König Lear, welcher in der Nummer vom 21. Oktober steht, und dessen Zusendung wir dem Autor verdanken, geben wir hier nachfolgend unseren Lesern. In der ersten Reihe der Ziele unserer Gesellschaft stand, der Bühne ein aufmerksames Auge und einen anregenden Sinn entgegen zu bringen; im Programm (siehe Jahrbuch I, pag. XXI) lautet ein Passus:

Neben der philologischen Interpretation wird das Jahrbuch den scenischen Darstellungen der Dramen des Dichters eingehende Aufmerksamkeit widmen. Keine würdige Aufführung eines Shakespeare'schen Stückes soll unberücksichtigt bleiben, und es wird dabei Gelegenheit genommen

werden, die hervorragendsten und schwierigsten Charaktere zu beleuchten, sowie ihre Auffassung durch begabte Künstler der Gegenwart mit derjenigen älterer berühmter Schauspieler zu vergleichen.

Hiernach ist es also gewissermaßen redaktionelle Pflicht und bedarf keiner Rechtfertigung, wenn wir wie früher Helen Faucit so heute Tommaso Salvini sein künstlerisches Glaubensbekenntniß ablegen lassen, auch wenn dasselbe uns nicht viel Neues bringt. Aber der Verfasser sagt selbst mit Bescheidenheit und Verständniß, in der Einleitung zu seinen Essays:

Di quanto scrivo nelle mie interpretazioni di Amleto, Macbetto, King Lear ed Otello, so che nulla dirò di nuovo, e non è cosa facile trovare a dire alcunchè di nuovo su Shakspeare, analizzato e commentato come già fu da quasi 300 anni: ma se dirò delle cose conosciute, dico quello che ne penso, lusingato abbastanza di dividere con altri i miei intendimenti . . und wir haben ihm jedenfalls zu danken, daß er uns einen Einblick in sein Seelenleben und seine geistige Künstlerwerkstatt gewährt.

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Die nachfolgende Uebersetzung ist von Herrn Günther von Freiberg angefertigt.

Gelegentliche Betrachtungen über Shakespeare's Charaktere

von Tommaso Salvini.

König Lear.

Bekanntlich wissen wir durch eine walisische Sage, daß Lear, der Sohn des Bladud, 60 Jahre lang regierte und 80 Jahre vor Christi Geburt starb. Außerdem wird behauptet, Lear habe die Stadt Leicester gegründet. Seltsam genug, daß der Dichter lauter echt mittelalterliche Namen und Gebräuche in die heidnische Epoche hineinverwebt: die Anreden Graf, Herzog und Monarch, die feudalen Burgen, die Kavalkaden, die Anwendung gewisser Strafen, die Gottesgerichte alles dieses versetzt uns in die Blüthezeit des Ritterthums, und eben deshalb wäre es verfehlt, wollte man für die scenische Darstellung in weitere Ferne zurückgreifen.

Gönnen wir überhaupt dem Genius Shakespeare's unbehinderten Aufschwung in das Reich der Phantasie, ohne gewisse Anachronismen und örtliche Unkenntniß zu bemäkeln, um so mehr, als es ihm in dieser Tragödie auf die moralische und weniger auf die historische Wahrheit ankommt.

Diese moralische Wahrheit ist die menschliche Undankbarkeit.

Wie er im Hamlet Gedankenfülle und Gemüthsschwere über die That siegen läßt, in Macbeth den übertriebenen Ehrgeiz schildert; so tritt im Lear die Undankbarkeit in den Vordergrund.

Ein alter König, seiner Krone müde, theilt sein großes Reich in drei Theile und verschenkt es an seine drei Töchter. Er selbst entsagt freiwillig allem Besitz, nur den Titel und die Würde eines Herrschers für sich behaltend.

Dieses Verfahren betrachten nun Viele wie die Handlung eines Narren. Mir dagegen scheint es die Eingebung eines edelmüthigen, vertrauenden Herzens, welches von der kindlichen Liebe und Dankbarkeit gleiche Opferfreudigkeit erwartet. Wäre es ein unsinniges Beginnen, so ständen ja die beiden rebellischen Töchter gewissermaßen gerechtfertigt da, denn gegen Thorheiten öffentlich Einspruch zu thun, ist jedem vernünftigen Wesen ohne Weiteres gestattet. Aber worin besteht denn das Wahnsinnige der Beschlüsse Lear's? Freilich, in unsrer modernen Zeit gäbe es Gründe genug, jene zu bekritteln: in Folge der freien, vielleicht allzu freien Erziehung, die wir unsern Kindern geben, wären möglicherweise Lieblosigkeiten gegen die Eltern zu befürchten. Aber in jenen rauhen, strengen Zeiten war die Autorität des Vaters unantastbar gleich der Autorität Gottes; man schuldete den Eltern dieselbe Ehrfurcht, denselben blinden Gehorsam, womit man sich dem Willen des Allmächtigen fügte. Undenkbar, daß ein Vater und König an der Unterwürfigkeit seiner Leibeserben gezweifelt hätte! es gab einfach kein Auflehnen gegen die Bestimmungen des Erzeugers. Und eben diese Bestimmungen haben überdies, wie schon gesagt wurde, nichts

Thörichtes. Lear tritt die Reichsverwaltung an seine drei Eidame ab, da er nach sechzigjähriger Herrschaft der Staatsgeschäfte müde ist; er selbst behält den Titel König und hundert Ritter, die sein Gefolge bilden. Dies halte ich bei Abtretung eines großen Reiches für recht und billig; ebenso den Wunsch, sich nunmehr den großen täglichen Anforderungen zu entziehn und im Jagen und bei den Späßen des lustigen Rathes Erholung zu suchen. Man wird mir einwenden: Wodurch rechtfertigt sich bei diesem „vernünftigen" König die Art und Weise, wie er mit Cordelia verfährt, indem er sie sofort enterbt, nur weil sie ihre kindliche Liebe nicht in Schmeichelworte kleidet gleich den älteren Schwestern? Auch hierauf lautet meine Antwort: Denkt an die Erziehung jener Zeiten! Lear konnte unmöglich darauf gefaßt sein, in einer öffentlichen Versammlung aus dem Munde einer Tochter Anderes als wohlgesetzte Phrasen zu vernehmen; sein Leben lang war er daran gewöhnt, mochte nun wirkliche Liebe, Konvenienz oder Pflichtgefühl solche Worte eingeben. Cordelia, wahrhaftiger und herzensechter als ihre Schwestern, sagt im entscheidenden Moment schlichtweg, daß sie den Vater naturgemäß liebe, wie es die Ehrfurcht gebiete. Selbstverständlich war dies nicht die Antwort, welche Lear erwartete, insbesondere nicht von seinem Lieblingskinde; im Gegentheil, er hatte mehr als von Goneril und Regan enthusiastische Betheuerungen erhofft. Daher die Enttäuschung, die Empörung, sich Angesichts des ganzen Hofes als Vater herabgesetzt zu fühlen, daher das plötzliche Umschlagen der Liebe in Wuth und Haß, das Auflodern eines heftigen Temperamentes, welches momentan keiner Selbstbeherrschung und Mäßigung fähig ist. Ich gebe zu, daß Lear unbedacht und jähzornig zu nennen ist, aber niemals sinnlos.

Wie bereits erwähnt, zählt Lear 80 Jahre. Wer ihn vom heutigen Standpunkte aus betrachtet, sieht in ihm einen von der Last der Jahre gebeugten und geschwächten Greis. Mir erscheint er wie einer jener alten, majestätischen Eichenstämme, denen Wind und Hagel wohl die Blätter, aber niemals die Wurzeln und die starken Zweige zerstören können.

Und hier sei mir gestattet, Folgendes aus dem geschätzten Journal,,Der italo-amerikanische Fortschritt" einzuschalten:

,,Man bedenke, daß zu den Zeiten Lear's die alten Männer weit robuster und muskelstärker waren als sie es heut zu Tage sind; damals trank Niemand um 10 Uhr Morgens Kaffee; man erhob sich mit der Sonne und zum Frühstück verzehrte man ein tüchtiges Stück Rind- oder Lammfleisch. Man entsinne sich, daß diese angelsächsischen Recken viel ritten, fochten, jagten, und daß ihr gestählter, abgehärteter Körper bis ins hohe Alter von keiner Schwäche heimgesucht wurde. Wie konnte Lear hinfällig sein, da er noch einen flotten Waidmann abgab und zu Pferde stieg, wie aus der Tragödie fortwährend hervorgeht? Und wie sollte ein gebrochener, hilfsbedürftiger Greis all den Aufregungen widerstehn, den heftig schreckensvollen Scenen des Dramas? Hätte Shakespeare seinem Protagonisten so viele Ausrufe des Zornes, des Schmerzes, der Empörung, des Fluches in den Mund gelegt, wenn er ihn sich gebrechlich und schlotternd gedacht hätte? Ein nicht imposanter, kraftvoller Greis müßte ja während des weiteren Verlaufs der Tragödie fortwährend in Krämpfe verfallen, die ununterbrochene Folge von Erschütterungen müßte ihn sehr bald umbringen."

Um nun diese meine Ansicht und diejenige des italienischen Kritikers zu erhärten, führe ich einige Worte von Shakespeare selber an:

Bei Beginn des 3. Aktes, d. h. nach der großen Scene mit den beiden Töchtern, als Lear hinausirrt in das Haideland sonder Obdach, Speise und Schutz gegen die Unbill der Elemente, da berichtet der Ritter dem Kent von Lear:

Er will in seiner kleinen Menschenwelt

Des Sturms und Regens Wettkampf übertrotzen.

Und als der Edelmann Lear aufsucht, ihn zu Cordelia zu führen, sagt der König, der sich gefangen glaubt:

Brav will ich sterben, wie ein schmucker Bräut'gam;
Will lustig sein; kommt, kommt, ich bin ein König:
Ihr Herren, wißt ihr das?

Und dies Alles nach den aufreibendsten Scenen mit den beiden entarteten Töchtern, nach dem Kampfe mit den entfesselten Elementargewalten nnd den größten materiellen Entbehrungen! wie sollte Der nicht von wetterfestem Schlage sein und trotz seiner 80 Jahre nicht Löwenmark in den Knochen haben? Nachdem wir solches als Gewißheit festgestellt, wollen wir uns ihn mit dem ästhetischen Blick der darstellenden Kunst betrachten.

Wenn wir ihn dem Zuschauer von vorn herein als polterndes, ausgemergeltes, beinah kindisches Jammerbild vorführten, wo bliebe dann der Kontrast, die nothwendige Gegenwirkung? wo sollte die Theilnahme und das tiefe Mitleid für seine sich steigernden Leiden herkommen? Um wie viel mehr ist Jemand zu bedauern, der von bedeutender Höhe in das Elend hinabstürzte und nun die ganze Bitterkeit eines grausamen Schicksals kosten muß! Einem Manne, den wir einst im Glücke sahen und der nun allen Stürmen Muth entgegensetzt, dem folgen wir mit regstem Eifer dagegen Einer, der nicht im Stande ist, geistig und körperlich Widerstand zu leisten, erregt in uns nur den Wunsch: möchte ein baldiges, rasches Ende ihn erlösen! kurz und gut, Jener erweckt Sympathie, Dieser Langweile. Ermüdend und abspannend wäre es, wenn Lear (wie wir oftmals mit ansehn mußten) die hergebrachte Straße vieler moderner Schauspieler einschlüge und das falsche System der Nachahmung befolgte — ein System, was allerdings noch vor Kurzem für unfehlbar galt, bis der große amerikanische Tragöde Edwin Forest es über den Haufen warf, indem er uns gründlich den Glauben an einen schwachen, kindischen Lear benahm Forest, der durch die Macht seines Organs, durch seine befehlenden Gesten, durch die Großartigkeit seiner Konzeption Allen, die ihn sahen, unvergeßlich bleibt.

Ich halte es für nothwendig, dem Publikum den Lear des ersten Aufzugs als absoluten König, der in starren Satzungen alterte, erscheinen zu lassen: also majestätisch, würdevoll und ebenso reizbar und leidenschaftlich. Im zweiten Akte, wo er sich von der schnöden Herzlosigkeit der ältesten Töchter überzeugt, muß der König vor dem Vater zurücktreten; im dritten erreichen schließlich seine physischen Leiden denselben Höhepunkt wie seine moralischen ja vielleicht vergißt er beinah leztere über ersteren, und vom König und Vater bleibt nur noch der Mensch übrig, eine gegen Sturm und Blitz ankämpfende Kreatur.

Diese drei verschiedenen Phasen im Lear deutlich hervorzuheben, sei Hauptaufgabe des Darstellers. Somit giebt sich jede Monotonie von selbst, und Lear wird nicht nur betrüben, sondern fesseln. Anfangs willenskräftig, selbstherrschend; später gequält und bis ins tiefste Herz erschüttert; zum Schlusse geschwächt, nur noch ein Hauch und deshalb beweinenswerth.

Ich glaube nicht zu irren, wenn ich behaupte, die Schwierigkeit dieser Vorschrift bestehe in der zunehmenden Abschwächung. Bekanntlich gilt sonst in der dramatischen Kunst die Regel einer allmählichen Steigerung, welche sich mit der fortschreitenden Handlung verstärken muß bis zur Schlußkatastrophe. Daher soll der Schauspieler bedächtig vorgehen, seine Mittel nicht unzeitig verschwenden, sondern seine höchste Leistung stets auf das Ende versparen. Im Lear dagegen ist es unmöglich, diese alte Lehre anzuwenden; im Gegentheil, statt mit den natürlichen Mitteln crescendo aufwärts zu gehn, und Wirkung zu erzielen, muß man anfangs stark auftragen und dann geradezu dämpfen, um ein wirkliches Kunstwerk zu gestalten. Der absolute König und Gebieter sinkt bereits im zweiten Akte zum heimathlosen Manne herab - und wie erst im dritten, wo er in der Sturmscene die wüthenden Elemente herausfordert und verhöhnt in furchtbarster Nervenüberreizung! Im vierte Akten verwirren sich seine Gedanken. Viele nehmen ihn von da ab für einen Blödsinnigen, aber dies ist ein großer Mißgriff Andere für einen Besessenen nicht doch! Wohl gebe ich zu, daß er aus dem Gleichgewicht gerieth in Folge tiefster, undenkbarster Kränkung; dazu die ,,schweflichten, gedankenschnellen Blitze", denen er ausgesetzt ist und die Gesellschaft des verkommenen, in verstelltem Wahnsinn redenden Edgar! Dies ist gleichsam ansteckend. In diesen Scenen strotzt es von Verfluchung, Gleichnissen, tiefsinnigen Betrachtungen, moralischen und philosophischen Sentenzen, welche vom Undank ausgehen und darauf zurückzuführen. Wäre Lear wirklich irrsinnig, wie könnte er dann beim bloßen Anblick seiner Cordelia gleich wieder bei voller Besinnung sein? Blödsinnige sind viel schwerer zu heilen,

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