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Christus sprach gewiß wieder den bon ton des haut clergé zu Jerufalem, da Er vom verlornen Pfenning, dem Lichte, das angezün= det ward, um ihn zu suchen, dem Umkehren der Kammer und dem Commerage sprach, das die Frau, die ihn verloren, mit ihren Nachbarinnen anstellte, da sie ihn wieder gefunden. Ich liebe diesen Detailgeist Christi und werde ihn lieben bis an mein Ende. Ich finde darin tiefe Menschenkenntniß; Er wirkte mehr durch dieß, als durch alle brillanten morceaux ihrer oraisons funèbres Bossuet und Massillon gewirkt haben. Ich weiß, wie sehr ich durch meine Tagbuchschreibereien und durch die Details, die ich als ein unentbehrliches Vehiculum ansehe, den haut gout des Weltgeistes beleidige; aber ich lasse mir meinen bas gout nicht nehmen; denn ich weiß, daß ich in dieser Manier mehr sagen kann, als in keiner andern, und daß ich durch dieß Medium mehr brauchbare Wahrheit in Umlauf bringe, als durch irgend ein anderes. Dieß ist bei mir klare Erfahrungssache. Ich weiß, daß nach meinem Tode nichts mehr gelesen wird, als gerade dieß, Viele hundert Menschen, die sonst nichts von mir lesen, werden meine Reise nach Kopenhagen lesen und werden darin finden, was sie nicht darin suchten. Fände es sich aber nun, daß in meiner Reise Dinge vorkämen, die an sich ganz uninteressant und als Vehikel völlig überflüssig wären, nicht wenigstens Rahm und Glas, Ringlein und Nietchenstelle vertreten, o, dann ist's Zeit, daß ihr mir faget: „Lieber Lavater! das ist Fliegenschmeiß auf'm Glas, das ist Kothspriß an der Rahm!" dann küss' ich euch die Hand, und kein Fliegenschmeißchen und kein Kothsprig soll in den folgenden Heften kommen; aber ihr müßt nicht urtheilen, bis ihr gelesen habt; müßt nach dem Totaleffekt urtheilen; müßt es aus dem Gesichtspunkte, aus welchem es geschrieben ward, und müßt es ja nicht philisterisch beurtheilen, das heißt, nicht nach der Frage: „Was wird die Welt als Welt dazu sagen?” Das heiße ich Philisterei. Begrabt mich, Freunde! wenn ich Zurechtweisungen tadle,

die auf Vernunft, Religion und Menschenachtung gegründet find. Begrabt mich, wenn ich gerechten Tadel mit stolzer Verachtung von mir weglenke, oder auch nur unbenußt lasse, oder wenn ich auch über ungerechten zürne; aber begrabt mich auch, wenn ich eines Menschen Individualität antaste und ihn über das Privilegium, das Natur und Schicksal ihm gaben, auch dann, wann es mich drücken sollte, zur Rede stelle.

O, wie schwer find doch die halb genialischen, früh geschmeichelten Schöngeister zu behandeln! Unser tagdiebähnliche Schöngeist muß zur Taglöhnerarbeit unerbittlich und unabläßlich angehalten werden. Eine gewisse, kaltruhige, derbfeste Strenge gegen ihn ist das einzig mögliche Heilmittel.

3.

Halten Sie, protestantische Christin! es für schlechterdings nothwendig, daß ein Geistlicher das Abendmahl administrire? Ich halte es nicht für nothwendig; jeder christliche Mann kann es ohne Bedenken im Kreise seiner Familie oder weniger christlichen Freunde thun. Jeder Mann ist Repräsentant Christi so gut, als ein geistlicher, sos wie jede Frau ein Bild seiner Gemeine sein soll, und nicht nur die des Geistlichen.

4.

,,Warum find diejenigen Menschen, die vorher Frömmler waren, die intolerantesten Demokraten geworden, wann sie sich auf diese Seite neigten ?"

Erstlich: Frömmler sind immer schwach, haben keine eigene Konsistenz, neigen fich, wiffend oder unwissend, immer nach einem angesehenen Stärkern, der zu imponiren und einer Schwäche den Schein des Rechts oder der Vortrefflichkeit zu geben weiß.

3weitens: Frömmler find nie liebend. Les faux dé vots", sagt ein Franzose,,ne pardonnent jamais" (die Falschan=

dächtigen vergeben nie); keine schärferen, bitterern Urtheiler, Richter und Verdammer, als die Andächtler; hat man nun ihre Religiofität mißbraucht, hat man ihnen das Unrecht der Despoten mit heißen Farben vorgemalt, so glauben sie fich von Religionswegen (wie man sagt, von Rechts wegen) berechtigt, alles Gift, das Natur, Stolz und Schwäche ihnen gab, gegen fie geltend machen zu müssen. Da stehen ihnen denn alle Eiferer voll heiligen Geistes, als Feuerfallenlasser der Bibel“ zu Gebote, ohne daß ihnen der enorme Unterschied zwischen jenen und ihnen zu Sinn kommt. Ihre Scharfrichterei hat nun ein freies Feld.

Ich kenne Herrenhuter, sonst die Tolerantesten aller Christengemeinen, (warum sollte ich sagen: „Sekten"? Soll eine redlich fich glaubende Christengesellschaft eine andere, fich ebenso redlich glaus bende Christengesellschaft mit dem so unwürdigen, richtenden Namen: Sekte, der nun einmal Schimpfname ist, belegen?) Ich sage: ich kenne Herrenhuter, die wüthige, allen Freundeswarnungen hohnsprechende Demokraten geworden sind und sich des Königsmordes königlich freuen, und Jedem, der ein Wort wider Königsmord überhaupt spricht, als Christ dagegen spricht, den schrecklichsten aller Schimpfnamen, den sie einem Menschen geben können, blinder Aristokrat, anwerfen. Daß fie hören, prüfen, ruhig die Sache auf die Waagschaale nehmen könnten, daran ist gar nicht mehr zu denken. Sie, die ehemaligen Hinfinker vor dem Bilde des gekreuzigten Nazareners, schließen sich nun mit großem Triumph an seine niederträchtigsten Lästerer an; da kommt Einem freilich des Johannes Wort zu Sinn: „Wenn sie aus uns gewesen wären, so wären sie bei uns geblieben."

5.

Aber freilich muß dann sogleich auch hinzugethan werden, daß die, welche den Aristokratismus affischiren, vorher keine Spur von Religion blicken ließen, nun unaufhörlich von Religion sprechen,

eben so verwerflich und abscheulich sind, als jene, wenn sie das unmenschliche Wort im Munde führen, von welchem sie an jenem Lage, wo man aus seinen Worten gerecht gesprochen oder verdammt werden wird, gewiß werden Rechenschaft geben müssen: „Il ne reste rien, pour ces gueux là, que de les pulvériser“ (man muß dieß Gefindel zu nichts machen, zu Pulver zerreiben). Wer möchte fich dann nicht von Beiden gleich weit entfernt halten?

6.

Lieber Jakobi! verzeihe, daß ich für dein allerliebstes, schon so mannigfaltig genossenes, empfohlenes, mitgetheiltes Geschenk, deinen glücklich vollendeten Woldemar, erst jezt danke.

Ich danke dir als Geschenkempfänger, und danke dir viel mehr noch als Leser. Welch' ein Schaß der feinsten, zartesten, richtigsten Bemerkungen über den Menschen! Welche Mannigfaltigkeit der Ausbildungen! und welche Einheit des Geistes im Ganzen und in allen Ramifikationen dieses fruchtreichen Baumes der Erkenntniß des Guten und Bösen! Freue dich dieses unsterblichen Werkes!

Wer es lieset, ist meines Sinnes.

Ich habe lange in keinem Buche so viel für mich angestrichen; so wenig oder nichts gegen Einzelnes einzuwenden gewußt; aber freilich fast überweiblich groß find die göttlichen Geschöpfe, Henriette und Allwine! O, könnte ich ihre Wirklichkeit glauben! Glücklich du, fandst du fie in der Natur! Selig du, wenn sie dein Herz erfand! Ich kenne die edelsten Frauen; aber so, wie diese Beiden, kenne ich feine.

7.

Ich kenne die Sprache, kenne den Geist des Verfassers der schönen französischen Stelle, für die ich dir danke, recht gut; fenne auch den Verfasser selbst ziemlich genau; ich verehre wenige Menschen, wie ihn; aber, bis mich Gott etwas anders lehrt, muß ich sagen: Er mag haben, was er will, den simpeln, evangelischen

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Christus, dem ich nichts unterschieben mag, hat er nicht; der evangelische Christus ist weder so preziös, noch so unpsy. chologisch, das höchste Innere, welches freilich sein Zweck ist, ohne das einfachste, kräftigste Aeußere zu wollen; das Geistige ist nicht zuerst, sondern das Natürliche, darnach das Geistige; dieses ist Sankt Paul's und meine Philosophie, und gewiß auch Christi.

Das Geheimthun dieses Mannes mit seiner Lichtquelle ist nicht in meinem, das ist, im altapostolischen Geschmack; entweder nichts gesagt, nichts geschrieben oder von Zweien Eins gethan:

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Gründe gegeben, die die Wahrheit durch sich selbst beweisen, oder hinlänglich accreditirte Autorität angewiesen, dieß ist mein einziger Prüfftein; sonst bin ich keinen Augenblick vor Jrrgeführtheit sicher, wenn man sich auf ungenannte Autorität beruft.

Die Apostel räfonnirten und gaben Gründe, oder sie sags ten: „Der Auferstandene, in dessen Namen wir auferwecken, hat uns geboten." Sie nannten die Autorität und hatten Theil an der Kraft dieser Autorität, und bewiesen dieß.

Wer auf Offenbarung Anspruch macht und dadurch Andere leiten und lehren will, muß entweder durch göttlich luminöse Weisheit oder autorische Kraft leiten; er muß die Kraft nennen, die ihn leitet. Der Gesandte hört auf, Gesandter zu sein, wenn er den nicht nennt, der ihn gesandt hat, und zeitlichen und räumlichen Wesen muß ein zeitlicher und räumlicher Name vorgelegt und zur Prüfung vorgelegt werden.

Man muß alles Unendliche und Göttliche Menschen, die in Zeit und Raum leben, als zeitlich und räumlich darstellen und erkennbar machen können, oder man geht weder den Weg der Vernunft, noch den der Apostel, und ist, je mehr man Talente, Genie und Frömmigkeit hat, in Gefahr, einer der seduisantesten Schwärmer zu werden.

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