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aus der Natur der Ideen unseres Geistes, in welchen Gott selber sich uns offenbart. Der Spinozismus, der unmittelbar die Welt selber für das unendliche Göttliche nimmt, seßt sich in den schreiendsten Widerspruch zur Idee des Unendlichen, deren Object nothwendig eine absolut einfache und untheilbare Wesenheit, und über jede der Veränderungen, welchen das Universum in seinen einzelnen Theilen unterworfen ist, schlechthin erhaben sein muß.

Gegen den Spinozismus erklärt sich auch Malebranche auf das Entschiedenste und mit dem größten Abscheu vor der Gottlosigkeit desselben; Regis und Dutertre, welche Malebranche beschuldigen, Gott als allgemeines Sein in spinozistischer Weise zu fassen, thaten ihm entschieden unrecht. Malebranche's Gott ist nicht die Summe, sondern das Princip aller Creaturen, und in der Unendlichkeit seiner Vollkommenheit über alle wirklichen und möglichen Creaturen unermeßlich erhaben. Die Frage wäre nur, ob sich Malebranche nicht nach einer anderen Seite dem Spinozismus nähert, sofern er nåmlich alle selbsteigene Wirksamkeit der causae secundae aufhebt, und Gott den Allwirkenden gewissermaaßen zum Einzigwirkenden macht? Ein Freund und Verehrer Malebranche's, J. J. de Mairan, drängte den von ihm hochgehaltenen priesterlichen Denker mit Fragen und Bedenken bezüglich der von demselben behaupteten intelligiblen Ausdehnung in Gott, zu welcher sich die geschöpfliche Ausdehnung zusammt allen Körpern als Modificationen verhalten sollen; Mairan wünschte in's Klare zu kommen, wie diese Anschauung von jener Spinoza's über die Weltdinge als Modificationen der Einen unendlichen Substanz sich unterscheiden soll. Auch Arnauld meint, daß es Malebranche schwer werden möchte, sich einer der beiden Alternativen, daß er entweder Gott als Körperwesen, oder die Welt als eine Modification fasse, zu entziehen. Malebranche erklärte, daß die intelligible Ausdehnung den ideellen Archityp aller wirklichen Ausdehnungen und Körper und eine in Gott urbildlich vorhandene Vollkommenheit des Geschaffenen zu bedeuten habe. Auch Fenelon lehrt, daß Alles, was am Begriffe der Ausdehnung eine positive Bedeutung habe, in Gott per eminentiam vorhanden sein müsse; dieses Positive am Begriffe der Ausdehnung zur Absolutheit gesteigert, ergebe den Begriff der göttlichen Unermeßlichkeit. Es ist übrigens unschwer zu erkennen, daß die cartesische Identification der Ausdeh, nung mit der förperlichen Realität zu dieser Art von Auffassung

der Unermeßlichkeit Gottes Anlaß gab; die intelligible Anschauung Malebranche's sollte die in Gott vorhandene ideelle Urform aller unserer geistigen Anschauungen bedeuten und ist gewissermaaßen eine religiös - theologische Anticipation der von Kant erfundenen Formen der reinen Anschauung.

§. 803.

Dem ersten Theile der Schrift Fenelon's über Gottes Dasein wurde bei der ersten Veröffentlichung desselben eine Abhandlung aus Tournemine's Feder beigegeben, die sich gewissermaaßen als Vorrede zu der ohne Fenelon's Wissen veröffentlichten Schrift gab, und den Titel „Reflexionen über den Atheismus“ führte. Tournemine's Abhandlung ist vornehmlich gegen Bayle und Spinoza ge= richtet. Ausgehend von der Denkunmöglichkeit des Atheismus bestreitet er die Behauptung Bayle's, daß es wirkliche Atheisten, d. h. von Gottes Nichtsein innerlichst überzeugte Menschen gebe oder geben könne. Die von Bayle als Beweise für das Gegentheil angeführten Belege enthalten das nicht, was er in sie hineinlegt, und sind auch abgesehen hievon nicht einmal historisch richtig. Wenn es wirklich wilde Völker geben sollte, die von Gott gar nichts wissen, so wäre damit nur bewiesen, daß der Mensch bis zum völligen Vergessen einer ihm in's innerste eingesenkten Grundwahrheit herabsinken könne, an welche zu glauben ihm so natürlich ist; zwischen dem unfreiwilligen Vergessen einer Wahrheit und zwischen dem grundsäglichen Bekennen des Gegentheils ist aber noch ein großer Unterschied, den Bayle völlig übersehen zu haben scheint '). Bayle führt eine chinesische Philosophensecte an, welche sich zum Atheismus bekennen soll. Diese Angabe ist unrichtig; jene chinesischen Philoso= phen glauben an ein höchstes Wesen, nur haben sie sich von demselben eine unrichtige Vorstellung gebildet, indem sie es für eine Art von Weltgeist halten, dessen Organ der sichtbare Sternenhimmel sei. Sie glauben auch an eine Weltschöpfung und Vorsehung, und

1) Tournemine kam auf diesen Punct in einer anderen Abhandlung zurück: Reflexions sur l'atheisme attribué à quelques peuples par les premiers Missionnaires, qui leur ont annoncé l'Evangile. Abgedruckt in den Mem. de Trevoux, Jahrg. 1717.

sind demnach vom grundsäßlichen Atheismus unermeßlich weit ente fernt. Bayle glaubt versichern zu können, daß, wenn man den Bekennern des Atheismus freies Geleite zusage, sich ganz bestimmt mehrere Männer von nicht gemeiner Bildung melden würden, um den Atheismus als ihre innigste Überzeugung öffentlich auszusprechen, Tournemine erwidert, daß er einem solchen Bekenntniß den Glauben an die Aufrichtigkeit desselben versagen müßte; unter so Vielen, die sich von offener Gottlosigkeit zum Glauben zurückwendeten, hat noch keiner das Geständniß gethan, daß er je nur einen Augenblick vom Nichtsein Gottes überzeugt gewesen sei. Demnach können auch die gottesläugnerischen Systeme des Epikuräismus und Spinozismus nicht als Erzeugnisse innerer Herzensüberzeugung, sondern bloß als beklagenswerthe Verirrungen des menschlichen Denkens angesehen werden. Die atomistische Zufallslehre Epifur's trägt das Siegel der widersinnigen Unvernunft offen an der Stirne. Der Widersinn des spinozistischen Atheismus ist in einer anscheinend tiefphilosophischen Formel versteckt, tritt aber offen zu Tage, sobald man diese dunkle und änigmatische Formel näher analysirt. Die Spinozisten reden von einer allgemeinen Naturnothwendigkeit als leßter Erklärungsursache alles Seienden, und bezeichnen die Materie als das ewige Subject dieser Nothwendigkeit. Hier hat man zu fragen, ob diese Nothwendigkeit mit blinder Bewußtlosigkeit wirke? Wenn sich aber die auf einen höchst weisen Verstand hindeutende Welteinrichtung mit der Annahme einer blindwirkenden bewußtlosen Ursache des Weltdaseins schlechterdings nicht verträgt, so ist weiter zu fragen, wie man sich das Zusammensein der weltordnenden Intelligenz mit der ewigen Materie vorstellig zu machen habe? Die Pythagoräer und die von Bayle erwähnten chinesischen Philosophen denken hier an eine Weltseele, und sehen demnach das Universum aus zwei Hälften zusammen, die sich wie Leib und Seele zu einander vers halten. Spinoza glaubt der Absurdität dieses Systems zu entgehen, wenn er das Denken zu einem Attribute seiner Einen, alleinzigen materiellen und ausgedehnten Substanz macht. Nun sind aber Denken und Ausdehnung zwei Attribute, welche vermöge ihrer Incompatibilität schlechterdings nicht einem und demselben Subjecte inhäriren können; also ist das spinozistische System eben so absurd, wie jenes, welches die Weltseele zum absoluten Agens erhebt und der ewigen Gottheit substituirt. Spinoza begründet seine Lehre von

Werner, apol. u. pol. Lit., V.

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der Einen alleinzigen Substanz durch den Saß, daß eine Substanz nicht wieder eine Substanz hervorbringen, und somit neben der Einen wirklichen Substanz eine zweite nicht möglich sei. Und warum nicht? Weil die zweite Substanz von der ersten unterschieden sein und demnach andere Attribute haben müßte, als die erste; zwei Dinge mit verschiedenen Attributen haben nichts mit einander ge= mein, und lassen sich nicht auseinander erklären oder ableiten. Daraus soll also folgen, daß eine Substanz nicht Ursache einer zweiten Substanz sein könne. Hier wäre nun aber erst zu erweisen, daß zwei Dinge, welche sich durch ihre Attribute von einander unterscheiden, wirklich gar nichts mit einander gemein haben, und in keinerlei Wechselbeziehung zu einander stehen können; um einen Beweis solcher Art sieht man sich jedoch bei Spinoza vergeblich um, wie er denn in der That auch gar nicht möglich ist.

Vor Tournemine hatte bereits der Mauriner Franz Lami eine Widerlegung des spinozistischen Systems veröffentlichet '), die indeß an den Gebrechen aller übrigen, aus der cartesischen und malebranche'schen Schule hervorgegangenen Widerlegungsschriften von Regis, Wittich, Poiret, Nieuwentyt u. s. w. leidet, und unter Verkennung der Bedeutsamkeit der causae secundae den allwirkenden Gott zum Einzigwirkenden macht. Im Übrigen enthält sie nicht wenige gute und glückliche Gedanken und treffende Bemerkungen gegen Spinoza; auch läßt er es sich angelegen sein, in der zweiten Abtheilung seiner Schrift den Irrgängen der spinozistischen Dialektik nachzugehen, um eine für die Anhänger derselben überzeugende Widerlegung des falschen Systems zu geben. Die erste Abtheilung der Schrift befaßt sich mit gemeinverständlichen Beweisgründen gegen Spinoza, und reducirt sich im Ganzen auf die Erweisung dessen, daß der Mensch eine substanzielle Effenz und demzufolge eine von Gott verschiedene und durch Gott gesezte Wesenheit sei. Ist nämlich der Mensch eine Substanz und zwar eine Substanz, die sich nicht selber gesezt hat, und doch auch keine ungesezte Substanz ist, so muß er durch ein Wesen, welches a se ist, in's Sein gesezt worden sein; das Wunder der Einigung zwischen Seele und Leib und

1) Nouvel atheisme renversé, ou refutation du système de Spinoza, tirée pour la pluspart de la connaissance de la nature de l'homme. Paris, 1706.

der wundervollen Organisation des lehteren weiset auf die Macht und Weisheit eines unendlichen Wesens hin. Der Realität dieses unendlichen Wesens gibt die in uns vorhandene Idee des Unendlichen Zeugniß. Die Giltigkeit des aus dieser Idee geschöpften Beweises für Gottes Dasein hatte Lami schon früher gegen den Sorbonnisten Brillon aufrecht zu halten gesucht '); seine sonstigen, der malebranche'schen Lehre nachgebildeten Anschauungen hat er in seinen „ersten Elementen der Erkenntniß“ 2) niedergelegt.

S. 804.

Der cartesische Spiritualismus war unter Ludwig XIV. und in den nächsten Jahrzehenden nach ihm die geistige Form des christlich gebildeten Frankreichs geworden; er wurde, wie auf dem Gebiete der Logik und Metaphysik, Kosmologie und Religionsphilosophie, durch Roche und André auch auf dem Gebiete der philosophischen Ästhetik vertreten; Boileau fügte zu Arnauld's Art de penser und B. Lami's Art de parler eine im cartesischen Sinne abgefaßte l'art poëtique hinzu; nicht zu gedenken der mancherlei in verwandtem Sinne abgefaßten Methodologien über die rechte Lehrart in allen die allgemeine Denkart betreffenden Fächern und Zweigen des menschlichen Wissens. Die ganze gebildete Gesellschaft Frankreichs war vom cartesischen Spiritualismus durchdrungen; er war das philo, sophische Bekenntniß der Männer von Welt, und beseelte den Geist der geselligen Conversation in gewählten Zirkeln und vornehmen Kreisen. Demnach darf es nicht überraschen, die Polemik der cartesischen Schule gegen Spinozismus und Epikuräismus auch auf dem Gebiete der französischen Poesie von dazumal vertreten zu finden. Wir haben in dieser Beziehung außer Abbé Genest, welcher die Prinzipien der cartesischen Philosophie in Verse brachte 3), den

1) Vgl. Lami's Lettre a M. l'abbé Brillon im Journ. de Trevoux, janv. et fevr. 1701.

2) Premiers éléments ou entrée aux connaissances solides en divers entretiens, proportionée à la portée des commençants et suivie d'un Essai de Logique, 1706.

3) Principes de philosophie, ou preuves naturelles de l'existence de Dieu et de l'immortalité de l'âme, en vers. Paris, 1716. Näheres über Genest und sein Werk bei Boullier Bd. II, S. 356 ff.

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