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Jesuiten im Sinne der älteren Schule angekämpft; der Jesuit Buffier, ein Zeitgenosse Tournemine's, nahm weit mehr aus Locke's Lehre, als aus der cartesischen in sich auf. Die Lehren Locke's und Condillac's fanden einen Bestreiter an dem Oratorianer Roche '); der Abbé de Lignac († 1762) stellte sich vermittelnd zwischen den Malebranchisten Roche und Locke 2), entdeckte aber feinen neuen fruchtbaren und lichtgebenden Gedanken, in welchem sich die beiden einander entgegengesezten Systeme innerlich mit einander zu einem höheren Dritten verschmolzen hätten, sondern blieb bei einem eflektischen Ineinanderpassen derselben stehen. Er behauptet mit Locke, daß es keine angebornen Ideen gebe und all unser Erkennen auf Wahrnehmungen (perceptions) gegründet sei; mit Malebranche führt er die aus den Perceptionen sich herausbildenden Ideen auf Gott als allmächtige Ursache und Archityp derselben zurück. Jede Idee drückt eine Beziehung zwischen dem Endlichen oder Unbestimmten und dem Unendlichen aus; diese Beziehung besteht nach de Lignac darin, daß sich mit der Perception eines endlichen Einzeldinges der Gedanke von der unbegränzten Wiederholbarkeit desselben durch die göttliche Allmacht verbindet; auf diese Art bilde sich aus der Vorstellung des Dinges die Idee desselben heraus. Malebranche und Locke hätten es beide gemeinsam darin versehen, daß jeder von ihnen nur einen der beiden termini oder Endpuncte unserer Ideen und Erkenntnisse, Malebranche den unendlichen, Locke den endlichen, in's Auge faßte. Lignac verwirft die cartesische Lehre von einer angebornen Gottesidee, und substituirt derselben ein erst später in's reflectirte Bewußtsein tretendes Gottesgefühl, aus dessen Wahrnehmungen de Lignac die von ihm in allen menschlichen Ideen entdeckten Beziehungen des Endlichen zum Unendlichen erklärt. Demnach wäre der sensistische Empirismus Locke's durch einen spiritualistischen Sensismus zu ergänzen, und aus legterem die Transformation der finnlichen Perceptionen der Dinge in die Ideen der Dinge zu erklären. Lignac's Zeitgenosse, der Bretagner Ch. H. de Kéranflech hat gegen die im Sinne der Locke'schen Schule unternommenen empirisch - philosophischen Untersuchungen nichts einzuwenden, glaubt

1) Traité de la nature de l'âme et de l'origine de ses connaissances, contre le système de Locke et de ses partisans. Amsterdam, 1759.

2) Vgl. Boullier Tom, II, p. 616 ff.

aber, daß die Ergebnisse der Experimentalphilosophie für sich allein nicht ausreichen, sondern durch die von vorneherein auf den Standpunct der „Vernunft", d. i. der idealen Intuition sich stellende Malebranche'sche Lehre ergänzt werden müßten. Denn nur auf dem von Malebranche beschrittenen Wege lasse sich begreiflich machen, wie der menschliche Geist zur Erkenntniß der nothwendigen und ewigen Dinge gelangen könne; nur mittelst seiner Lehre lasse sich die Unfehlbarkeit der menschlichen Erkenntnisse, die Unwandelbarkeit der sittlichen Ordnung, der an sich geltende Unterschied von Recht und Unrecht, Gut und Böse, Wahr und Falsch darthun Malebranche's Standpunct ist mit Einem Worte der unveräußerliche Hort aller Metaphysik.

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§. 801.

Die cartesische Schule hatte ihre Metaphysik zum christlichen Gottesglauben in die innigste und unmittelbarste Beziehung gesezt. Das göttliche Sein und Wirken ist dieser Schule die absolute und unmittelbare Vorausseßung alles creatürlichen Seins und Geschehens, die Existenz Gottes unmittelbar durch den im menschlichen Geiste vorhandenen Gottesgedanken bezeugt. Woher hätte der menschliche Geist die Idee des allervollkommensten Wesens, die er in sich trägt fragt Cartesius - wenn jenes vollkommenste Wesen nicht in Wirklichkeit existirte? Da in der Ursache nicht weniger gelegen sein kann, als in der Wirkung sich offenbart, so muß der Mensch, der die Idee eines höchsten, vollkommensten Wesens in sich trägt, das Werk eines höchsten vollkommensten Wesens sein; das Vorhandensein jener Idee im Menschen ist das unabweisliche Zeugniß für die Wirklichkeit des ihr entsprechenden Objectes. Malebranche substituirt der Idee des menschlichen Geistes von Gott unmittelbar Gott selber als Lebenselement des denkenden Geistes, und faßt den Gottesgedanken des Menschen als ein Zeugniß unseres geistigen Seins in Gott auf, in welchem wir die Dinge schauen, d. i. alles Andere außer Gott geistig erkennen. Der Jesuit Hardouin nahm Malebranche's Lehre von Gott als dem Orte der Geister und als allgemeiner Vernunft für eine philosophische Läugnung des persönlichen Gottes; Thomassin hingegen fand in ihr nichts Anderes, als was von jeher die weisesten und größten Denker, ein Plato und ein

Augustinus über Gott gelehrt hätten. Nach Thomassin hat Plato die Ideen nicht als von Gott verschiedene Subsistenzen genommen, sondern als Gedanken des göttlichen Verstandes, als die in Gottes Denken vorhandenen ewigen und unveränderlichen Urbilder der Dinge, und unveränderliche Wahrheiten, an welchen alles Geschaffene sein höchstes, absolutes Richtmaaß findet. Unsere Erkenntniß dieser Ideen und Wahrheiten läßt sich einzig daraus erklären, daß wir sie im Lichte der göttlichen Wahrheit schauen; der göttliche Logos bedeutet als Sonne des Geisterreiches für unser geistiges Erkennen dasselbe, was die sichtbare Sonne für unser sinnliches Sehen bedeutet. Zufolge dessen unterscheidet Thomassin in unserem geistigen Erkennen zwischen einem doppelten Lichte, dem lumen illuminans und lumen illuminatum; ersteres ist die von den göttlichen Ideen ausgehende Lichthelle, lezteres das an ersterem entzündete Licht unseres Verstandes. Wir erkennen die Wahrheit in Gott, und nicht, wie Thomas Aq. will, in uns selber. Diese continuirliche Präsenz der göttlichen Wahrheit in unserem Denkleben gilt Thomassin für den ersten und vornehmsten aller Beweise für Gottes Dasein, welches sich aber nebstdem auch durch eine angeborne Gewißheit von seiner Wahrheit bezeugt. Es mag Atheisten auf moralischem Gebiete ge= ben, auf dem intellectuellen Gebiete sind sie nicht möglich und auch nicht vorhanden. Alle großen und bedeutenden Männer, alle Denker, welche sich über die Meinungen des gemeinen Haufens erhoben, geben der dem Menschen angebornen Gottesidee Zeugniß; es handelt sich nur darum, daß man sie auch richtig deute und verstehe 1). Thomassin findet die angeborne Gottesidee eben so sehr von den heidnischen Philosophen wie bei den Kirchenvätern bezeugt; demgemäß führt er 2) eine Reihe von Stellen aus Plato, Plotinus, Maximus Tyrius, Simplicius, Proklus, Jamblichus, Alcinous, Cicero, Sallustius, ferner aus Boëthius, Cassiodor, Dionysius Areop., Augustinus, Tertullianus und anderen Kirchenvätern an, um die Übereinstimmung heidnischer und christlicher Philosophen in dem berührten Puncte zu erweisen. Als Argumente der patristischen

1) Vgl. über diesen Punct Thomassin's Schrift: Methode d'etudier et d'enseigner chretiennement et solidement les Poëtes. Paris, 1681.

2) Dogmatum theologicorum Pars II: De Deo Deique proprietatibus, Lib. I.

Scriptoren für die angeborne Gottesidee führt Thomassin an: die unvertilgbare ahnungsvolle Erinnerung an die Seligkeit des Urzustandes, den allgemeinen Gottesglauben des menschlichen Geschlechtes, das der Seele eingeborne Verlangen nach dem höchsten Gute, die in natürlichen Eingebungen des inneren Sinnes begründete Unterscheidung zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht, das in's Herz des Menschen geschriebene natürliche Geseß, die Gottverwandtschaft der Menschenseele. Die menschliche Seele hat eine angeborne Erkenntniß von Gott, und erkennt Gott aus sich besser, als aus allen sichtbaren Werken Gottes; sie berührt sich durch einen über ihre Intelligenz erhabenen verborgenen Sinn mit Gott; daraus erklärt sich, daß ihr angebornes Wissen von Gott mehr die Existenz als das Wesen Gottes betrifft. Was die Seele unmittelbar durch sich selber weiß, ist ihr viel klarer, als dasjenige, dessen Kenntniß ihr durch die leiblichen Sinne vermittelt wird; erst in Folge des Sündenfalles ist die Seele darauf angewiesen worden, das Zeugniß für Gottes Dasein in der sichtbaren Außenwelt suchen zu müsssen, weil sie seitdem gleichsam vor sich selber flieht und in ihre eigenen Tiefen nicht eingeht. Deßungeachtet ist sie auch beim Anblicke der sichtbaren Welt genöthiget in sich selber zurückzugehen, um aus sich und ihrem Wesen das in den Erscheinungen der sichtbaren Welt vor sie hingestellte Zeugniß für Gottes Sein zu verstehen. Ordnung, Übereinstimmung alles Einzelnen unter einander, Schönheit sind nicht Eigenschaften der Materie als solcher, sondern müssen aus einer geistigen Causalität abgeleitet werden; indem die Seele aus sich und ihrer eigenen geistigen Natur die Ordnung der Welt versteht, wird sie auf Gott als überweltliche geistige Ursache der Vollkommenheiten der Schöpfung hingeführt. Augustinus hat uns den Weg beschrieben, auf welchem die Seele, von der Betrachtung der sichtbaren Welt ausgehend, zur höheren unsichtbaren Welt sich erhebt und zuhöchst bei der ewigen und unwandelbaren Weisheit Gottes anlangt, in welcher die Ordnung der wandelbaren und veränderlichen Dinge begründet und befestiget ist. So beweiset sich im Hinblicke auf den wunderbaren Rhythmus der Weltordnung die Existenz Gottes aus den Geseßen der Zahlen und Figuren, welche der Seele sich durch sich selber verdeutlichen; Augustinus, Cassiodor, Claudius Mamertus, Cyrillus Alex. und andere Väter haben die hohe Bedeutung der arithmetischen und astronomischen Studien für

den Nachweis der Existenz Gottes recht wohl zu würdigen verstanden, sind aber in diesem Puncte eben nur in die Fußtapfen der ihnen vorangegangenen Platoniker getreten. Derselbe Weg, der zu Gott als höchster Weisheit und unveränderlicher Wahrheit führt, leitet auch auf ihn als höchste Güte und Gerechtigkeit und Urgrund aller Vollkommenheit hin; Gottes Sein ist gleichbedeutend mit der Realität des Urwahren, Urschönen und Urguten, dessen Existenz die absolute Voraussetzung alles Wahren, Schönen und Guten an den Dingen, und überhaupt alles Seienden ist.

§. 802.

Fenelon arbeitete als junger Mann eine ausführliche Abhandlung über Gottes Dasein und Eigenschaften aus, deren erster Theil ohne sein Zuthun und Vorwissen noch bei seinen Lebzeiten, das Ganze aber drei Jahre nach seinem Tode veröffentlichet wurde 1). Der erste Theil enthält den aus dem Anblicke und den Wundern der sichtbaren Schöpfung gezogenen Beweis für Gottes Dasein, und schließt mit einer Widerlegung der epikuräischen Zufallslehre. Der zweite Theil enthält, nach Vorausschickung einer in cartesischem Sinne abgefaßten Erörterung über den in der Selbstgewißheit des Denkenden gegebenen Stüßpunct philosophischer Gewißheit, die metaphysischen oder aus intellectuellen Ideen abgeleiteten Beweise für Gottes Dasein, welchen eine Widerlegung des Spinozismus eingeschaltet ist. An die Beweise für Gottes Dasein schließt sich eine Erörterung über Gottes Wesen und Eigenschaften an, die in vier Capiteln von der Einheit, Einfachheit, Ewigkeit und Unveränderlichkeit, Unermeßlichkeit Gottes handelt. Unter den metaphysischen Beweisen für Gottes Dasein geht der erste von der Unvollkommenheit des menschlichen Wesens aus: Da der Mensch nicht unendlich vollkommen ist, so ist er offenbar nicht durch sich selbst, sondern durch einen anderen, der durch sich selber ist, und in diesem Durchsichselbersein von Allem außer ihm unabhängig und keines Anderen bedürftig alle Vollkommenheit in sich selber trägt. Die übrigen metaphysischen Beweise für Gottes Dasein schöpft Fenelon aus der Idee des Unendlichen, die wir in uns tragen, aus der Idee eines nothwendigen Wesens,

1) Traité de l'existence et des attributs de Dieu, 1718.

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