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Mensch seiner Idee nach das realisirte geschöpfliche Ebenbild und Gegenbild Gottes, so wird die Selbstmanifestation Gottes nach Außen die menschliche Urform in sich aufgehoben tragen, und so kommt es auf dem Wege der ideellen Vernunftauffaffung des Gottesgedankens allgemach zu Anschauungen, wie sie der alexandrinischen Religionsphilosophie zu Grunde liegen, welche den idealphilosophischen Unterbau der speculativen Dogmatik abgibt, und wol auch für die Zukunft in einer organischen Gliederung der zunächst um die in Scheeben's Sinne aufgefaßte speculative Dogmatik sich lagernden philosophisch - theologischen Disciplinen an die Stelle der nunmehr veralteten, sogenannten natürlichen Theologie zu treten hat. Wer die verfümmerte Gestalt der lezteren in den katholischen Handbüchern der Philosophie aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kennt, wird sich nicht verhehlen, daß diese Disciplin in der neueren idealphilosophischen Bildung eben so gut zu existiren aufgehört hat, wie das sogenannte Naturrecht und die sogenannte natürliche Moral, an deren Stelle in der Gegenwart die christliche Rechtsphilosophie und christliche Moralphilosophie getreten sind; dieser Änderung analog wird an die Stelle der sogenannten natürlichen Theologie die christliche Religionsphilosophie treten, was aber im Inhalte derselben nicht aufgeht, in einer christlich - rationalen Kosmologie und Theodicee seine Stelle finden. Dahin gehören die in der natürlichen Theologie älteren Stiles abgehandelten Lehren von der Schöpfung, Erhaltung und Regierung der Welt, oder überhaupt von den Actionen Gottes ad extra, welche in der Religionsphilosophie vorausgesezt werden, da lettere nicht das Thun Gottes, sondern die auf Grund jener dreifachen göttlichen Wirksamkeit sich entwickelnden Beziehungen des Menschen zu Gott zum Gegenstande und Inhalte hat, und schließlich in eine Philosophie der Offenbarung ausläuft, wie wir dieß bei Drey und Staudenmaier sahen. Bei dieser idealphilosophischen Behandlung der natürlichen und der geoffenbarten Religionserkenntniß wird neben der alten grundhaften Unterscheidung zwischen natürlichen und übernatürlichen Wahrheiten auch die von Drey betonte Thatsache in ihr Recht treten, daß wie die übernatürlichen Wahrheiten, obwol in ihrem eigentlichsten Wesen suprarational, doch auch eine dem rationalen Erkennen zugängliche Seite darbieten, so umgekehrt die sogenannten natürlichen Religionswahrheiten, obwol ihrem Wesen nach rational, doch auch

ihre mysteriöse Seite haben, die in dem Verhältniß des Endlichen zum Unendlichen nirgends fehlen kann.

Wir haben hier diejenigen Disciplinen bezeichnet, welche sich im Umkreise der in Scheeben's Sinne gefaßten speculativen Dogmatik herauszugliedern haben, um die Vermittelung zwischen der Theologie als scientia sacra und den profanen Wissenschaften auf neuzeitlichem Fuße herzustellen. Den der scientia sacra eigenthümlichen speculativen Gehalt hat Scheeben aus der Idee der Beziehung des Men= schen zu seinem absoluten übernatürlichen Ziele zu deduciren gesucht, und wie in der Incarnationslehre, so auch in den übrigen Lehrstücken (z. B. vom Urzustande, von den Sacramenten) in die Tiefen einer kosmosophischen und anthroposophischen Mystik gesenkt, die nach unserem Dafürhalten ihre volle Berechtigung hat, und dem über der Idealphilosophie hinausliegenden höheren Gebiet der reinen Glaubenswelt angehört, in welcher der Mensch zwar nicht zu denken und zu philosophiren aufhören kann, wo aber sein Denken ganz und gar in die Lichtfäden eines Gewebes höherer Art hineinge= sponnen wird, das ein göttlicher Werkmeister im Denkleben der christlich glaubenden Seele auswirkt, daher denn hier das Gebiet der über der rational verfahrenden Schultheologie hinausliegenden Mystik beginnt. Wie viel aus dieser in die systematische Theologie, speziell in die speculative Dogmatik hinübergenommen werden könne, muß ein richtiger Tact an die Hand geben; das Gleiche gilt in Bezug auf die Vertiefung der kirchlichen Moraltheologie in den Überlieferungen der ascetisch - contemplativen Mystik.

Zwölftes Buch.

Der Kampf der christlichen Gläubigkeit wider den theologischen Rationalismus auf dem Felde der biblischen Kritik. Zusammenhang der biblischen Wissenschaft und Kritik mit dem Gesammtstande der neuzeitlichen Bildung und gelehrten Forschung; Verhältniß der christlichen Theologie zu den Ergebnissen der neuzeitlichen Naturkunde, Sprach- und Geschichtsforschung, Versuche einer tieferen Begründung und fachgemäßen Erweiterung der christlich-theolo= gischen Forschung auf dem Grunde des neuzeitlichen Bildungslebens.

§. 855.

Wir lir stehen nunmehr vor der Schlußaufgabe unserer Arbeit, das Verhältniß der christlich - kirchlichen Schriftkunde und Schriftforschung zum neuzeitlichen Bildungsleben und zum heutigen Entwickelungsstande der neuzeitlichen Wissenschaft zu beleuchten, deren Bestrebungen, wie es in der Natur der Sache liegt, so vielfach, und auf allen Gebieten der gelehrten Forschung in der einen oder anderen Weise mit dem Bibelglauben und mit der Auctorität der Bibel sich zurechtzusehen haben. Diese Zurechtseßung ist aber, soweit es sich nicht einfach um gläubige Unterwerfung unter das An

sehen der Schrift, sondern um eine wissenschaftliche Vermittelung der Ergebnisse der profanen Wissenschaften mit dem Bibelglauben handelt, nur unter der Vorausseßung denkbar, daß es eine, nach dem Stande ihrer Entwickelung den Anforderungen des wissenschaftlichen Zeitlebens entsprechende biblische Wissenschaft gebe, eine Wissenschaft nämlich, welche nicht nur dem Schriftforscher die nöthigen und unentbehrlichen Mittel zum grammatisch - philologischen, historischen und theologischen Verständniß der Schrift darbietet, son, dern ihn zugleich auch in den Stand sezt, auf die Fragen zu antworten, die vom Standpuncte des entwickelten wissenschaftlichen Zeitbewußtseins an ihn herantreten, und ihm eine Rechenschaft über die Haltbarkeit der Wahrheit und der Göttlichkeit der Bibel gegenüber dem Stande der allgemeinen geistigen Weltentwickelung abfordern. Die Schaffung einer solchen Wissenschaft sezt nun die vielseitigsten Orientirungen in allen Zweigen und Gebieten der gelehrten Forschung voraus, und die Ausbildung derselben dehnt sich im Hin blicke auf das stets sich erweiternde Gebiet der Naturkunde, Sprachund Geschichtsforschung in eine schwer zu begränzende Weite aus; daher die biblische Wissenschaft nach dieser Seite aufgefaßt geradezu als eine unvollendbare, und gleich der weltlichen Philologie als eine in steter Erweiterung und fortschreitender Durchbildung begriffene Wissenschaft bezeichnet werden muß. Als theologische Wissenschaft muß sie jedoch innerlich in sich selber consolidirt sein, und zu jeder Zeit so viel bieten, als zu einer, dem Bildungsstande und Bedürfniß der Zeit entsprechenden Ausrüstung für den theo= logisch - wissenschaftlichen Gebrauch der Bibel nöthig ist. Nach dieser Seite ist auch bisher das Meiste, und man kann wol sagen, aus, reichend viel geschehen, angefangen von den Zeiten der Kirchenväter, von Origenes und Hieronymus, Augustinus und Tychonius bis herab zu Nikolaus von Lyra und Erasmus, und seitdem wieder weiter, vom Reformationsjahrhundert angefangen bis in unsere Zeit, in dieser legteren Epoche unter wetteifernder Concurrenz der. Katholiken und Protestanten, die im Reformationszeitalter, und so lange und so weit es sich um die dogmatische und theologische Auslegung der Bibel handelte, fichtlich den Katholiken nachstanden, im lezten Jahrhundert aber in Bezug auf das grammatisch -philologische und kritisch - historische Verständniß der Schrift eine Strebsamkeit entwickelten, durch welche sie den Katholiken weit voraneisten,

in nicht wenigen Beziehungen sogar förmlich zu Lehrmeistern für die Katholiken geworden sind. Diese Thatsache darf um so weniger verschwiegen werden, je gewisser es ist, daß alle Besserung mit der richtigen Selbsterkenntniß anfängt; fie muß insbesondere heute zu Tage betont werden, sofern es sich darum handelt, daß neben der kirchlichen Reaction gegen die Auswüchse und Irrungen des neuzeitlichen wissenschaftlichen Bildungsstrebens nicht die reellen und wirklichen Ergebnisse desselben übersehen oder ungeachtet und ungeehrt bei Seite gesezt werden, und daß auf den kirchlichen Eifer nicht der gerechte Vorwurf des Bildungshasses, der Denkscheu und der Abneigung gegen eine ernste, methodische Wissenschaftlichkeit zurückfalle. Zudem erobern die Katholiken durch eine eifrigere Befreundung mit der biblischen Wissenschaft nur jene Stellung zurück, welche sie auf dem Gebiete der Bibelkunde früher eingenommen hatten, ehe sie von den Protestanten überholt wurden; was ein Santes Pagninus und Sixtus Senensis für das 16te Jahrhundert leisteten, muß durch Arbeiten erseßt und überboten werden, welche für die Verhältnisse der Gegenwart von gleicher Geltung und Bedeutung find.

Die theologische Bibelwissenschaft scheidet sich in einen hermeneutischen und in einen kritischen Theil; der hermeneutische Theil derselben gelangte eher zu einer umfassenden Ausbildung, freilich nicht im Sinne einer Fachdisciplin, sondern mit Beziehung auf die Strebungen eines tieferen Glaubensfinnes und auf die Zwecke der kirchlich-theologischen Dogmatik; daneben machte sich auch zu wiederholten Malen der Wunsch und das Bestreben geltend, dem literalen Sinne der Schrift durch die Benüßung der Hilfsmittel einer rationellen Exegese in umfassender Weise gerecht zu werden, ohne daß es jedoch zu einer durchgreifenden innerlichen Vermitte lung beider Auslegungsarten, der kirchlich - gläubigen und der sprachlich - rationellen, gekommen wäre. Einen ersten Versuch hiezu machte der gelehrte Mauriner Joh. Martianay 1), ohne jedoch über gewisse allgemeine Grundsäße, in welchen er die einzige und aus

') Traité methodique, ou manière d'expliquer l'ecriture par le secours de trois syntaxes, la propre, la figurée et l'harmonique. Paris, 1704. Methode sacrée, pour apprendre et expliquer l'ecriture sainte par l'ecriture même. Paris, 1716.

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