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Seelen mit göttlicher Einsicht durchschaue, so werde auch manche Gnadenspendung unfruchtbar bleiben. Bossuet zog aus dieser Auffassung die Folgerung, daß die Existenz der Person nach der ihr von Malebranche zugewiesenen Wirksamkeit eigentlich nur ein Hinderniß des Willens Gottes wäre, alle Menschen selig zu machen!

Auf Bossuet's Antrieb und theilweise unter Bossuet's Mitwirfung faßte Fenelon eine Widerlegung der Schrift Malebranche's de la nature et de la grace ab 1), in welcher diese für das theologische Frankreich befremdlichen Lehren enthalten waren. Fenelon richtet seine Kritik gegen Malebranche's Lehren über die Gebundenheit des göttlichen Willens an die souveraine Weisheit, über die Einfachheit der Wege Gottes, über die ausschließliche Generalität des providentiellen Willens Gottes, über den Optimismus, über die der Seele Jesu zugewiesene Rolle im Geschäfte der Gnadenvertheilung, über die semipelagianische Emancipation des mensch= lichen Willens von der Macht und Wirksamkeit der göttlichen Gnade. Aus der von Malebranche gelehrten Gebundenheit des göttlichen Willens an die souveraine Weisheit, welche mit der gött lichen Essenz zusammenfällt, folgert Fenelon die Nothwendigkeit und Ewigkeit der Schöpfung, so wie die absolute Unmöglichkeit einer anderen Welt außer der wirklich geschaffenen. Daß sich die Lehre von der Einfachheit und ausschließlich generellen Tendenz des göttlichen Wirkens mit dem christlichen Wunderglauben nicht vertrage, habe Malebranche selber gefühlt, und deßhalb seine bezügliche Behauptung auf Kosten der philosophischen Consequenz_restringirt. Der Optimismus ist im Principe falsch; Gott kann niemals das Allerbeste thun, denn dieses ist er selber, und bei dem unendlichen Abstande alles Geschaffenen von Gott verschwinden die Unters schiede zwischen mehr und minder gut im Geschaffenen in Nichts zusam= men. Also fällt auch jede von daher geschöpfte Beschränkung der göttlichen Wahlfreiheit von selbst hinweg. Gegen die von Malebranche gelehrte generelle Providenz bringt Fenelon größtentheils dieselben Einwendungen vor, welche auch bei Arnauld sich finden; mit besonderem Nachdrucke hebt er hervor, daß die Bestreitung einer par

1) Refutation du systeme de la nature et de la grace. Zum erstenmale abgedr. in d. Ausgabe d. Werke Fenelon's vom J. 1820.

ticulären Providenz mit den Gebeten und der Heilswirksamkeit der Kirche, so wie mit dem frommen Denken nicht vereinbar sei. Die Religion lehrt uns, daß die Vorsehung Gottes in der Application der allgemeinen Ursachen auf unsere besonderen und persönlichen Bedürfnisse bestehe. Demnach heißt die ausschließliche Geltung der generellen Providenz behaupten so viel, als die vom Christenthum gelehrte Vorsehung Gottes läugnen, und den Leidenden jeden Trost und jede Hoffnung auf eine von Gott zu erflehende Abhilfe ihrer Nöthen zu rauben. In den zwischen Malebranche und Arnauld schwebenden Streit über die occasionellen Ursachen will sich Fenelon nicht einlassen; nach seiner Schrift über Gottes Dasein und Eigenschaften zu urtheilen, steht er in diesem Puncte auf Malebranche's Seite, und unterläßt in seiner Gegenschrift wider Malebranche nicht, zu bemerken, daß die Lehre von den occafionellen Ursachen durch sich selber schon auf eine particuläre Vorsehung hindeute, für deren Bethätigung ja von Gott die occafionellen Ursachen geschaffen worden sind. Malebranche selber gibt zu, daß sich die Entstehung der ersten Exemplare der lebenden Wesen auf Erden durch die bloßen Geseze der Bewegung nicht erklären laffe. Aber auch die gesammte alttestamentliche Offenbarungsgeschichte ist ohne Annahme particulärer Wollungen und Wirksamkeiten Gottes nicht erklärbar, es wäre denn, daß man alles wunderbare Geschehen in der alttestamentlichen Heilsordnung den Engeln zuschriebe, die damit zu völligen Herren der Welt eingesezt worden wären, und consequenter Weise eigentlich auch als die Bildner der Erde und aller lebendigen Geschöpfe angesehen werden müßten, indem bei strenger Festhaltung des der malebranche'schen Lehre von der generellen Vorsehung zu Grunde liegenden Gedankens Gott nur der Hervorbringer der Materie und der nach den allgemeinen Gesezen vor sich gehenden Bewegungen und Gestaltungen im Bereiche der Materie sein könnte, für alles Übrige aber zur Rolle eines unthätigen Zuschauers verurtheilt wäre. Wie stimmt dieß mit der von Malebranche so nachdrucksvoll vertretenen Lehre von der creatio continua zusammen? Und wie konnte Malebranche, der die Wünsche Christi und die Bitten der Heiligen zu occafionellen Ursachen des Geschehens im Reiche der Gnade macht, übersehen, daß eben diese Wünsche und Bitten für Gott eben so viele Ursachen zu thätigen Einwirkungen auf den allgemeinen Lauf des Geschehens, und zu eben so vielen

Bethätigungen einer particulären Providenz seien? Auch im Puncte der Gnadenlehre erklärt sich Fenelon gegen Malebranche, und macht ihm zum Vorwurfe, die praedestinatio gratuita aufzuheben, die Freiheit auf Kosten der Gnade zu erheben und vom Menschen zu verlangen, daß derselbe durch sein selbsteigenes Wollen die durch die Gnade in ihm erweckte Lust am Guten überbieten müsse, um das Gute werkthätig zu wollen. Wie verträgt sich diese pelagianisirende Überschägung des freien Menschenwillens mit der von Malebranche gelehrten Wirkungslosigkeit und Unvermöglichkeit der causae secundae? 1)

§. 815.

Malebranche's Versuch, in einer durch religiös - chriftliche Vertiefung der natürlichen Gottes- und Welterkenntniß erzeugten philosophia sacra die innere Harmonie und Identität des gläubigen Tiefsinnes mit erleuchteter Vernünftigkeit aufzuzeigen, scheiterte in Folge verschiedener unrichtiger Grundannahmen, die theilweise schon zu seinen Lebzeiten sowol von theologischer, wie von philosophischer Seite her eine kritische Rüge erfuhren. Die seinem Zeitalter nachfolgende Generation gab die seinem Versuche zu Grunde liegende Idee auf, und beschränkte sich auf die philosophische Ausführung einer sogenannten Theologia naturalis, deren systematische und schulmäßige Ausbildung während des 18ten Jahrhunderts namentlich in Deutschland betrieben wurde. Der Begründer dieser schulgerechten, systematischen Vernunfttheologie war Chr. Wolff, an welchen sich eine große Schaar von Nachahmern anschloß, die mehr oder weniger in den von ihm gezogenen Gedankenbahnen sich bewegten. Eine selbstständigere Haltung behaupteten unter denselben nur Bilfinger, Baumgarten und G. F. Meier, deren lezterer in mancher Beziehung bereits mit Kant sich berührt 2), wie denn auch

') Fenelon's eigene Ansicht über den modus der göttlichen Gnadenwirksamkeit war keine völlig entschiedene. Schien es anfangs, als ob er der praemotio physica zugethan sei, so sprach er später und in seinem Streite mit Bossuet fich sichtlich zu Gunsten des Congruismus aus. Vgl. Gosselin, l'histoire littéraire de Fenelon, p. 337.

2) Vgl. Bartholmeß, hist. critiq. des doctrines religieuses de la philosophie moderne. (Paris, 1855) Bd. I, S. 129 ff.

Kant seinen ersten öffentlichen Vorträgen Meier's Schriften zu Grunde legte. Unter den Katholiken näherten sich an Wolff, theils in Bezug auf den Inhalt, theils auf die Darstellungsform der Philosophie im Allgemeinen und der natürlichen Theologie im Besonderen, Stattler und Burkhauser an, über deren einschlägige Leistungen wir an anderen Orten nähere Angaben gebracht haben 1). Samuel Reimarus vertheidigte die Wahrheiten der sogenannten natürlichen Religion gegen Spinoza und Lamettrie, Bayle und Hume, und mit Beziehung auf die von ihm eifrig vertretenen Zweckursachen der Schöpfung 2) auch gegen Buffon, d'Alembert und Maupertuis d. i. gegen jene Männer, denen zufolge ihrer Hinneigung zu einer empiristisch - naturalistischen oder deterministischen Anschauungsweise der Natur das teleologische Moment der Naturbetrachtung in wissenschaftlicher Hinsicht völlig werthlos dünkte. In der Anerkennung der Zweckursachen stimmt Reimarus mit Voltaire und Bolingbroke zusammen, deren letterer in Bacon's Bemerkung wider sie 3) mehr Wig als Wahrheit fand. Auch Rousseau's Schwärmereien für einen unschuldigen Naturstand, den dieser leidenschaftliche und widerspruchsvolle Enthusiast doch anderwärts selber als einen Stand sinnlichster Thierheit schildere, entgehen der Kritik des Reimarus nicht. Bekanntlich ist Reimarus zugleich auch der Verfasser der von Lessing und weiter von C. A. E. Schmidt veröffentlichten wolfenbüttler Fragmente, deren Bekanntmachung in Deutschland so großes Aufsehen erregte, indem in denselben ein deutscher Autor die bis dahin nur aus Auszügen und Übersegungen bekannten Ansichten der englischen Deisten über das positive Christenthum in eigenem Namen und als eigene Überzeugung vortrug und den geschichtlichen Offenbarungsglauben direct bekämpfte.

1) Vgl. meine Gesch. d. kathol. Theologie Deutschlands, S. 173 ff. meine Schrift über Suarez a. v. O.

2) Vgl. Buhle, Gesch. d. neueren Philos., Bd. VI, S. 540.

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*) Baco sagte von den Zweckursachen, daß sie virgines Deo consecratae ast infecundae seien.

§. 816.

Die ersten Anfänge des englischen Deismus (vgl. oben §. 796), dessen Geschichte zuerst durch Leland geschrieben wurde 1), reichen in die erste Hälfte des 17ten Jahrhunderts hinauf, und find auf Lord Herbert von Cherbury 2) zurückzuführen, der den Gesammtinhalt aller religiösen Wahrheiten darauf reducirte, daß es ein höchstes, anbetungswürdiges Wesen gebe, welchem man am Besten durch ein wohlgeordnetes Leben diene; es gibt eine jenseitige Vergeltung, Laster und Verbrechen können in diesem Leben durch aufrichtige Reue gefühnt werden. Shaftesbury unterwirft sich formell den Lehren der durch Staatsgeseße etablirten Kirche, spricht jedoch über die Bibel im Tone weltmännischer Blasirtheit, und klagt über die dem vorchriftlichen Heidenthum fremde Leidenschaft eines plagesüchtigen Seeleneifers. Karl Blount veröffentlichte eine englische Überseßung des von Philostrat beschriebenen Lebens des Apollonius von Tyana 3), welcher er seine „Orakelsprüche der Vernunft" nachfolgen ließ; einer dieser Sprüche lautete: Gott dürfe durch keinen Mittler verehrt werden. Toland stellte den mysteriösen Charakter der christlichen Lehre in Abrede, und behauptete die reine, d. i. menschlich faßliche Vernünftigkeit derselben; er zog weiter die Ächtheit der neutestamentlichen Schriften in Abrede, und trat mit einem sogenannten Evangelium Barnabae hervor, in welchem er die ächte Lehre der ältesten Christen, der Nazarener oder Ebioniten entdeckt zu haben glaubte *).

1) A view of the principal deistical writers, that have appeared in England in the last and present century, with observations upon them, in severals letters to a friend, 1754; 2 Voll. In deutscher Überseßung: Abriß der vornehmsten deistischen Schriften, die im vorigen und gegenwär tigen Jahrhundert in England bekannt geworden sind u. s. w. Hannover, 1756; 3 Bde.

2) Schriften: De veritate, prout distinguitur a revelatione, a verosimili, a possibili et a falso. Paris, 1624.- De causis errorum. London, 1645. De religione gentilium, errorumque apud eos causis. London, 1645; Amsterdam, 1663.

3) London, 1680.

4) Vgl. Mosheim, Vindiciae antiquae Christianorum disciplinae adversus Tolandi - Nazarenum. Hamburg, 1722; ed. 2da.

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