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§. 119.

Aus der Gottähnlichkeit der menschlichen Seele ergibt sich von selbst, daß ihr höchstes Ziel die Vereinigung mit Gott in der Anschauung Gottes sein müsse. Dieser Gedanke wird denn auch von den christlichen Lehrern allenthalben festgehalten, und den Erörte rungen über die Frage vom höchsten Gute zu Grunde gelegt. Indeß finden wir erst bei Augustinus eine vollständige und erschöpfende speculative Erörterung des Begriffes vom höchsten Gute; und überhaupt sind es vorherrschend lateinische Lehrer, welche sich mit dieser Frage beschäftigten, ohne Zweifel deßhalb, weil Cicero's Untersuchungen hierüber den Gegenstand derselben zu einem Lieblingsthema der lateinisch Gebildeten gemacht hatten.

Unter den griechischen Lehrern ist es Clemens Alexandrinus, welcher zuerst diese Frage umständlicher bespricht, und in der ihm eigenthümlichen Weise beantwortet. Man könnte sagen, daß er innerhalb gewisser Gränzen den vollkommensten Gegensaß zu Ambrosius darstelle, der dieselbe Lehre unter reinpraktischem Gesichtspuncte behandelt, während Clemens fie in theoretisch speculativer Weise auffaßt; Beide aber begegnen sich wieder in der christlichen Strenge, mit welcher sie die Verläugnung des irdischen Weltfinnes als unerläßliche Bedingung des Theilhabens am höchsten Gute urgiren. Clemens geht von der Bekämpfung des Lustprincipes der Epikuräer und Aristippianer aus '), welches ihm das äußerste Extrem der Verirrung in Lösung der Frage vom höchsten Gute darstellt; an diese gränzen ein Kaliphon und Dinomachus, die das Gute um der nachfolgenden Lust willen zu üben lehren; Kaliphon verbesserte später seine Meinung, da ihm allgemach die Schönheit der Tugend einleuchtete. Die Aristoteliker geben zwar als Bestimmung des Menschen an, daß er tugendhaft leben solle; aber sie sprechen der Tugend die Kraft der Beglückung ab. Die Stoiker verlangten, man habe der Natur gemäß zu leben; in der näheren Erklärung dieses Grund, sazes wichen sie voneinander ab. Anaxagoras suchte das höchste Gut des Lebens in der Contemplation und der daraus entspringenden Freiheit. Plato endlich sucht das höchste Gut in der Wissen

1) Strom. II, p.8495 ff.

schaft des Guten und in der Verähnlichung der Seele mit Gott, worunter er Gerechtigkeit und Heiligkeit im Bunde mit der Einsicht versteht. Darin hat nun Plato ganz im Sinne der christlichen Weisheit gesprochen. Die körperliche Lust ein Gut nennen, ist falsch1); denn es gibt auch böse Lüste. Darum flieht man gewisse Lüste; andere Vergnügungen gestattet man sich um eines höheren Zweckes willen. Die Wahl der einen, und die Flucht vor anderen wird hervorgerufen durch die Einsicht des Menschen; eben auch die Einsicht und Überzeugung ist Ursache, daß man sich gewissen Schmerzen unterzieht, während man andere zu beseitigen bestrebt ist. An sich ist der Schmerz weder böse noch gut; dem Martyr wird er ein Mittel zur Übung des Besten, nämlich der Bewährung seiner unbedingten liebenden Hingabe an Gott. Man sollte nun erwarten, Clemens preise den Martyrer ob des seligen Glückes der Vereinigung mit Gott; aber Clemens behauptet weiter 2), der wahre Weise begnüge sich mit dem Erkennen als solchem, und begehre dasselbe nicht um seines Glückes willen. Müßte er wählen zwischen Selig keit und zwischen Erkenntniß Gottes, so würde er, wenn schon durchaus auf Eines von Beiden Verzicht zu thun wäre, auf die Seligkeit verzichten, und sich mit der aus der Liebe gebornen Erkenntniß begnügen 3).

In dieser Äußerung liegt nun offenbar eine Übertreibung und eine Schiefheit der Ansicht, welche beweist, daß die Lehre vom höchsten Gute bis dahin noch keiner principiellen und methodischen Erörterung vom specifisch christlichen Standpuncte aus unterworfen worden war. Indeß hatte bereits Athenagoras) darauf hingewiesen, daß das höchste Ziel des Lebens ebenso wenig ein Zustand völliger Unempfindlichkeit, als jener eines Aufgehens in sinnlicher Lust sein könne; die stoische àлadeia des Clemens Alexandrinus war also eine dem christlichen Gemeinbewußtsein widersprechende Idee, welcher von späteren Lehrern auch förmlich widersprochen wurde, wie weiter unten näher gezeigt werden wird.

1) Strom. IV, p. 573.

2) Strom. IV, p. 626.

3) Jm Paedagog., Lib. I, p. 160 sagt

Clemens: Τέλος δὲ ἐστι θεοσεβείας

ἡ αἴδιος ἀνάπαυσις ἐν τῷ θεῷ· τοῦ δὲ ἀιῶνος ἐστὶν ἀρχὴ τὸ ἡμέτερον τέλος.

4) De resurr., c. 18.

§. 120.

Die von Clemens angeführten Ansichten der griechischen Philo, sophen über das höchste Gut werden von Lactantius näher geprüft, und mit ihrer Widerlegung die Entwickelung der christlichen Ansicht vom höchsten Gute verbunden 1). Vor Allem steht einmal fest, daß Dasjenige, was specifisch dem Menschen das höchste Gut sein soll, nicht ein solches Gut sein könne, welches ihm mit den übrigen Sinnenwesen gemein wäre. Es wäre für den Menschen höchst entehrend, wenn der Sinnengenuß, der für das Thier das Höchste ist, es auch für ihn wäre. Epikur steht allerdings nicht so tief, als die Aristippianer; aber auch sein Begehren geht nur auf eine dem Menschen mit anderen empfindenden Wesen gemeinsame Befriedigung. Diodor sucht das höchste Gut im Freisein vom Schmerze; diese Ansicht ist lächerlich, und macht den geschickten Arzt zum Verleiher des höchsten Gutes. Kalipho und Dinomachus) suchen das höchste Gut in der Verbindung von Vergnügen und Sittlichkeit; sie merken nicht, daß beide Ziele einander ausschließen. Die Peripatetiker anerkennen den Werth der Tugend, mengen aber in die menschliche Glückseligkeit solche Dinge, welche keine specifischen Objecte des menschlichen Begehrens find, sondern auch von den Thieren begehrt werden. Die Glücksgüter, von welchen nach Aristoteles nebenbei noch die menschliche Glückseligkeit abhängig sein soll, stehen nicht in der Macht des Menschen, können also nicht zum wahren Gute des Lebens gehören. Die Stoifer verlangen ein naturgemäßes Leben; aber die menschliche Natur hat eine unverkennbare Neigung zu schlimmen Dingen, mithin ist Zeno's Princip falsch. Herillus3) nennt die Wissenschaft das höchste Gut des Menschen; aber man begehrt die Wissen schaft nicht um ihrer selbst willen, und zudem ist das Wissen und Können als solches indifferent gegen Gutes und Schlimmes, weil es zu Beidem befähiget. Hätte er statt der Wissenschaft lieber die Weisheit genannt, welche Wissenschaft im Bunde mit der Tugend ist! Die Tugend für sich allein ist auch nicht das höchste Gut, wie Cicero fälschlich meinte; sie führt zum höchsten Gute und wirkt

1) Inst. div. III, c. 7-12.

2) Über Kalipho und Dinomachus vgl. Cicero De finibus II, 6; V, 8. 3) Vgl. Cicero De finibus II, 13; V, 8. .

Glückseligkeit, ist es aber nicht selber, sondern besteht wesentlich in Arbeit und Kampf. Eine mühelose Tugend könnte aber als Etwas, was gar keine Anstrengung kostet, nicht etwas Hohes, umsoweniger das höchste Gut sein.

Aus dem Gesagten geht hervor, daß das höchste Gut ein specifisches Gut des Menschen, daß es ein geistiges Gut, und ein nur durch Wissenschaft und Tugend zu erreichendes Gut sein müsse. Daraus erhellt, wie thöricht Anaxagoras sprach, der als seinen höchsten Lebensberuf bezeichnete, den sichtbaren Himmel und die Sonne zu betrachten! Hätte er sich zum Gedanken Dessen erhoben, der Himmel und Sonne geschaffen hat und allerdings nicht mit leiblichen Augen betrachtet werden kann, aber von uns Menschen geistig betrachtet werden soll! Diese Betrachtung besteht in der Verehrung und im Dienste des wahren Gottes, des gemeinsamen Vaters aller Menschen. Die Fähigkeit, Gott zu erkennen, zu ehren und ihm mit bewußtem Willen zu dienen, ist der erhabene Vorzug des Menschen vor allen übrigen Erdenwesen '); Religion ist die wahre Tugend und Vollendung aller Tugenden, und führt den Menschen im Bunde mit der Weisheit, die aus Gott ist und zu Gott führt, zur seligen Unsterblichkeit, dem höchsten Gute des Menschen. Das zeitliche Leben, welches so vielen unausweichlichen leiblichen Mühen unterworfen ist, kann nicht das selige Leben sein; der selige Lohn des dießseitigen Lebens kann erst in einem jenseitigen unvergänglichen Sein gefunden werden. Selbst ein Epikur meinte, daß Gott darum selig sei, weil er ewig ist. Der Stifter der megarischen Schule, Euklides, erklärte, das höchste Gut müsse etwas Stetiges, sich immer Gleiches sein. Seneca meinte, es gebe keinen anderen Lohn der Tugend als die Unsterblichkeit. Von der Unsterblichkeit der Seele sind wir aber deßhalb überzeugt, weil wir wissen und innerlichst erfahren, daß die Seele sich nach Gott sehnt, und ihn zu erkennen fähig ist. Wie die Seele zu Gott emporstrebt, so ist auch Gestalt und Angesicht des Menschen aufwärts und gen Himmel gerichtet, ut summum nostrum bonum in summo esse credamus.

1) Qua de re vera est Ciceronis sententia: »Ex tot, inquit, generibus nullum est animal praeter hominem, quod habeat notitiam aliquam Dei; ipsisque in hominibus nulla gens est, neque tam immansueta, neque tam fera, quae non, etiamsi ignoret qualem Deum haberi deceat, tamen habendum sciat." Inst. div. III, c. 10.

§. 121.

Ambrosius 1) unterscheidet zwischen seligem Leben und ewigem Leben. Das Leßtere ist Gegenstand der christlichen Hoffnung, das Erstere eine bereits dießseits zu genießende Frucht Derjenigen, welche im Glauben die rechte Erkenntniß Gottes besigen, und denselben durch treue Befolgung des göttlichen Gesezes bethätigen. Die Philo. sophen haben das höchste Gut entweder gar nicht erkannt, oder doch die wahre Idee desselben nur theilweise erfaßt. Ambrosius zählt alle jene griechischen Moralisten auf, welche von Clemens Alexandrinus und weiter von Lactantius besprochen werden; es ist aber charakteristisch, daß sowol Ambrosius als Lactantius Plato's nicht erwähnen, welchen Clemens als den der christlichen Wahrheit Nächstgekommenen bezeichnet. Dieser Umstand erklärt sich einerseits daraus, daß Beide, Lactantius und Ambrosius, vornehmlich die lateinische, auf peripatetische und stoische Lehren oder skeptische Akade miker gestüßte Philosophie vor Augen hatten; andererseits aus ihrem strengeren Urtheil über die heidnische Philosophie im Allgemeinen. Mit Clemens berührt sich Ambrosius in der scheinbar stoisch klingenden Behauptung, daß der Mensch schon hier auf Erden selig sein könne. In der That aber ist die Ansicht des Ambrosius von jener der Stoiker soweit entfernt, als der christliche Idealismus, der in der Begeisterung des gottfreudigen Martyrthums gipfelt, von dem stoischen Vernunftstolze entfernt ist. Nicht die philosophische Einsicht und Wissenschaft, sondern die Heiligkeit der gotterleuchteten Seele beseliget schon hier auf Erden; nicht die Weisen, sondern die Heiligen sind die Seligen auf Erden - und sind es inmitten der schwersten Entsagungen, Leiden und Bedrängnisse, weil das Seligsein im Geiste sich gegen äußere und sinnliche Güter völlig indifferent verhält, und vielmehr durch sinnliche und zeitliche Übel erst die volle Freudigkeit des in Gott getrösteten heiligen Sinnes aufgeweckt wird!

1) De officiis ministrorum, Lib. II, c. 1—5.

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